Interview: DARK FORTRESS - V. Santura
Ich sehe schon, dass die Menschheit dem Planeten Probleme bereitet und das ist schrecklich und schlimm - aber ich bin deshalb kein Menschenhasser. Ich glaube, dass Misanthropie oft aus einem Selbsthass herauskommt...dass, wenn man sich selbst nicht leiden kann, man auch andere nicht leiden kann.
Die deutschen Black Metaller DARK FORTRESS konnten mit "Spectres From The Old World" Fans und Kritiker gleichermaßen begeistern. Gitarrist und Produzent V. Santura nahm sich die Zeit für ein ausführliches Interview!
Für ihr aktuelles Album "Spectres From The Old World" nahmen sich die deutschen Black Metaller DARK FORTRESS sage und schreibe sechs Jahre Zeit. Doch wie so oft bewahrheitete sich erneut die alte Binsenweisheit, dass weniger manchmal mehr ist. Qualität schlägt Quantität - und weil das neue Langeisen in dieser Hinsicht auf ganzer Linie überzeugen konnte, mussten wir die Naturwissenschaftler unter den Schwarzteetrinkern natürlich zum Gespräch bitten. Warum macht die Thermodynamik nicht nur Energietechnikstudenten das Leben schwer? Wie steht es in Krisenzeiten um die Kunst und warum kommt es bei der Frage "Triggern oder nicht Triggern" doch auf den Drummer an? Über all diese Fragen stand uns DARK FORTRESS-Gitarrist und Produzent V. Santura ausführlich Rede und Antwort!
Servus V. Santura! Na wie geht's?
Ja...geht schon, und dir?
Es läuft, man kann sich nicht beklagen. Schön, dass es mit dem Interview noch geklappt hat! Ich halte gerade eure Schallplatte vor mir und sehe da unter "Nascence" eine lange Gleichung...was hat es damit auf sich?
Das ist eine Formel aus der Stringtheorie! Was sie aber genau beschreibt...da bin ich überfragt - ich bin nicht Sheldon Cooper [lacht]! Ich habe mich mit diesem ganzen physikalischen Unterbau nicht so intensiv beschäftigt wie unser Sänger, der sich dafür sehr interessiert. Deshalb kann ich dir dazu gar nicht viel mehr erzählen - wie wahrscheinlich die allermeisten Leute auf diesem Planeten, die das nicht gerade studiert haben. Wir haben aber die entsprechenden Textstellen von einem Physiker gegenchecken lassen.
"Nascence" und "Coalescence" sind zwar auf der CD getrennt, aber im Prinzip ein Stück. Mir als Komponisten der Musik schwebte von Anfang an ein Intro vor, das keine Cleanvocals hat, sondern vielmehr Fetzen von Vocals, die eher klingen wie ein Funkspruch. Fetzen, die immer wieder kommen und verschwinden - das war meine musikästhetische Intention hinter dem Intro. Wir haben das dann so gelöst, dass wir anstelle des Textes diese Formel benutzt haben, die unser Sänger eingesprochen hat. Man versteht es nicht und hört immer wieder Wortfetzen aus der Formel.
Das textliche Konzept hinter "Nascence" und "Coalescence" ist wahnsinnig interessant - als ich im Opener die Textzeilen mit "the second law" hörte, war ich erst mal platt. Die Kernaussage davon ist ja im Grunde, dass in der Natur alles einem Zustand minimaler Energie und maximaler Unordnung entgegenstrebt - man könnte es also auch mit "Tod" und "Chaos" umschreiben und wäre damit schnell wieder zurück beim Black Metal...
Durchaus! Ich denke, dass es auch in diese Richtung gedacht war. "The second law", der zweite Hauptsatz der Thermodynamik, besagt ja quasi auch, dass das Universum sich von heiß zu kalt wandelt und dass irgendwann das Ende, der sogenannte "heat death", folgt. Das ist ein Teil des Albumkonzepts - dass das Universum unausweichlich den Hitzetod stirbt...dass niemand etwas daran ändern kann. Und dass das Streben der Menschheit, etwas Wichtiges zu tun und zu glauben, dass wir wichtig sind, in diesem großen, riesigen Kontext vollkommen irrelevant ist.
Ich nehme an, auf die theoretischen Hintergründe solcher Texte werdet ihr nicht allzu oft angesprochen?
Nein, auf die Stringtheorie, Thermodynamik, etc. werden wir wirklich nicht oft angesprochen. Die Texte spiegeln Dinge wieder, die unseren Sänger tief interessieren. Das ist die beste Möglichkeit, sich auszudrücken und es ist wie gesagt ein Teilaspekt der Texte. Ein weiterer, wichtiger Einfluss auf die Texte ist die Natur: Erfahrungen in der Natur und auch diverse Reisen, die Morean oder auch Morean und ich zusammen unternommen haben. Wir haben beide eine Faszination für die unberührte Natur, wo die menschliche Zivilisation noch keine Spuren hinterlassen hat und vor allem auch die extremen Regionen, seien es die Hochalpen oder arktische Gebiete. Wir waren vor ein paar Jahren mal im Januar auf Spitzbergen und das war eine sehr beeindruckende Erfahrung. In dieser polaren Nacht zu sein, übers Eis zu wandern und diese extreme Natur und dieses extreme Klima zu erleben. Das sind Eindrücke, die ich vom Gefühl her total mit Black Metal in Verbindung bringen kann und die auch in stark das Album eingeflossen sind - textlich und musikalisch.
Ist bei einer solchen Tour auch das Foto fürs Albumcover entstanden?
Beim Albumcover war ich nicht dabei, ich glaube das Foto ist tatsächlich in einer Eishöhle auf Island entstanden. Die meisten Fotos im Booklet sind während eines Trips entstanden, als unser Sänger für drei Monate Chile bereiste - das ganze Land von Norden bis zur Südspitze und er ist dann sogar noch bis in die Antarktis weitergereist.
Diese Orte haben gewissermaßen etwas Lebensfeindliches - schlägt das für dich eine Brücke zu Black Metal und Misanthropie?
Da kann man Misanthropie hineininterpretieren. Ich sehe mich selbst eigentlich gar nicht als Misanthropen. Ich sehe schon, dass die Menschheit dem Planeten Probleme bereitet und das ist schrecklich und schlimm - aber ich bin deshalb kein Menschenhasser. Ich glaube, dass Misanthropie oft aus einem Selbsthass herauskommt...dass, wenn man sich selbst nicht leiden kann, man auch andere nicht leiden kann. So sehe ich das bei vielen Menschen, die sich als Misanthropen bezeichnen und so einer bin ich nicht. Aber trotzdem hat es eine gewisse Faszination für das Entmenschlichte oder für Sachen, die noch nicht von der Menschheit berührt oder versaut wurden. Viele dieser Landschaften wurden zwar noch nicht wirklich vom Menschen berührt, aber sie leiden trotzdem extrem darunter, gerade wenn es um die arktischen und polaren Regionen geht. Ich habe neulich eine Artikel gelesen, der besagt, dass es im Prinzip jetzt schon zu spät ist, dass das Polareis am Nordpol definitiv verschwinden wird...egal, was man macht und wie radikale Klimaschutzmaßnahmen noch getroffen werden. Das ist ziemlich schockierend, wenn sich das vor Augen hält.
Man könnte die Faszination für diese extremen Orte also mehr als "Flucht vor der Menschheit" denn als "Menschenhass" interpretieren?
Ja, das auf alle Fälle, das hast du eigentlich schön ausgedrückt. Ich habe meine Antwort zu Thema "Misanthropie" mehr auf meine persönliche Meinung als auf unsere Texte bezogen. In den Texten kann man schon eine gewisse Art von Misanthropie sehen, aber sehr bedingt. Eigentlich ist das Thema "Menschheit" kein Hauptaspekt in unseren Texten. Es wird in einigen Liedern angeschnitten, ist aber kein Hauptthema.
Mir ist aufgefallen, dass sich viele straighte Black-Metal-Nummern jeweils mit langsameren oder komplexeren Stücken abwechseln - war das Absicht oder Zufall?
Nein, es ist kein Zufall. Wir haben die Lieder mehr oder weniger in der Reihenfolge aufgenommen, wie wir sie geschrieben haben. Zumindest gilt das für die A-Seite des Albums bzw. für das erste Vinyl, die mit "Pazuzu" endet. Diese Lieder wurden wirklich am Stück geschrieben und eigentlich wurde jedes Stück in dem Bewusstsein angefangen, wie das vorherige gewirkt hat. Was hat das letzte Stück ausgesagt, wie hat es geendet und wie müsste der nächste Song anfangen? Welche Welt müsste sich dann auftun und welche Kontraste sollten entstehen? Mit "Nascence" und "Coalescence" geht es los und das ist wirklich extrem böse und highspeedig. Deswegen geht "The Spider In The Web" ziemlich rock'n'rollig im Midtempo los und der nächste Song ist wieder ein Kontrast. Dann wird es wieder schnell und hart und man bekommt das Gefühl, dass das Album zuerst mal ein wenig runterfahren muss und man muss mal Luft holen können. Deshalb sollte ein fetter, epischer, grooviger Song kommen und das war dann "Pali Aike". Weil es eben chronologisch geschrieben wurde, konnten wir sehr bewusst mit diesen Kontrasten zwischen den Songs spielen.
Spielte es auch eine Rolle, dass sich eingängige Songs mit komplexeren abwechseln?
Nein, eigentlich nicht. Das finde ich interessant, das höre ich so zum ersten Mal. "Coalescence" ist glaube ich sehr eingängig, "The Spider In The Web" ist halt ein Midtemposong, ist aber eigentlich auch ein sehr eingängiges und simples Stück...nur, dass es im Mittelteil etwas aus dem Rahmen fällt. "Pali Aike" ist eigentlich auch kein komplexer Song, er ist sehr klar strukturiert und verständlich. "Isa" z. B. ist ein viel komplexerer und größerer Song - nach der ersten Hälfte des Albums hatte ich das Gefühl, dass etwas Anderes passieren muss und dass wir dem Album an dieser Stelle mehr Größe und Erhabenheit geben müssen. Das war dieser eine Song, der nicht chronologisch entstanden ist und der einer der letzten Stücke war, die wir geschrieben haben.
Aber dass mich "Pali Aike" ein wenig an neuere SATYRICON erinnert, ist wahrscheinlich wirklich Zufall, oder?
[denkt nach] Hm ja, glaube ich schon...[hält kurz inne] das ist immer ganz interessant...ich habe manchmal beim Schreiben irgendwelche Sachen, die es gibt, im Hinterkopf...etwas, das mich unbewusst inspiriert oder von dem ich denke, dass es ein ähnliches Gefühl transportiert. Aber meistens sehen die Leute das nachher gar nicht so. Ich habe oft meine Arbeitstitel, wenn ich Musik schreibe. Ein Stück ist dann z. B. der MAYHEM-Song und "Pali Aike" war für mich glaube ich der METALLICA-Song, auch wenn er nicht danach klingt. Dieses erste Mainriff hat dieses Arrangement, wo sich nacheinander verschiedene Harmonien aufschichten, das ist eine Art des Arrangierens, wie es METALLICA bspw. bei "Battery" oder "Master Of Puppets" gemacht haben. Deshalb war der Song für mich ein wenig METALLICA-beeinflusst bzw. hat er für mich auch so einen alten SAMAEL-Vibe - so zu Zeiten, als sie "Ceremony Of Opposites" und "Passage" gemacht hatten. Ich weiß jetzt nicht, ob das irgendjemand so sieht, aber das sind an sich die Inspirationen, die ich darin gesehen habe. Aber zu neuen SATYRICON besteht immerhin eine wirklich konkrete, personelle Verbindung, weil unser Keyboarder Phenex ja quasi auch Live-Keyboarder bei SATYRICON ist...aber er hat den Song auch nicht geschrieben, von daher...[lacht]
Dann wäre es auch wahrhaft mit den Teufel zugegangen! Kommen wir mal zum Soundengineering: was waren eure Ziele, Vorstellungen und Herangehensweise?
Ok, im Prinzip ist es ja so: ich produziere die ganzen Platten, ich bin quasi der Engineer von DARK FORTRESS, ich nehme alles auf und übernehme auch das Mixing und Mastering. Im Grunde genommen "höre" ich zuvor in meinem Kopf, wie die Platte klingen soll und versuche dann, es im Studio mit meinen Skills so umzusetzen, dass es letzten Endes so klingt, wie ich es von Anfang an gehört habe. Mir war bei der Produktion wichtig, dass wir einen recht organischen Drumsound haben. Auf dem Album sind auch zwei Drummer zu hören, was sehr ungewöhnlich ist. Die Hälfte hat unser eigentlicher Drummer Seraph eingespielt und der Rest Hannes Grossmann.
Das ist euer Livedrummer?
Teils teils. Es ist so, dass Seraph aus beruflichen Gründen nicht immer kann, er arbeitet als Drumtech und ist quasi immer mit RIVAL SONS unterwegs. Die spielen 150 Shows im Jahr und wollen ihn exklusiv. Wenn er dann mal sagt, dass eine Sechs-Wochen-Tour wegen der DARK FORTRESS Shows nicht machen kann, dann geht das finanziell einfach nicht und da hilft uns normalerweise Hannes aus. Beides sind phantastische Drummer mit einem großartigen Natursound. Hannes kann z. B. auch bei sehr schnellen Songs extrem hart spielen, weshalb ich jetzt für alles außer den Bassdrums keine Samples oder Trigger gebraucht habe...das ist wirklich alles Natursound. Diese Lebendigkeit im Drumming einzufangen war mir sehr wichtig, weil ich das sehr geil finde, wenn es halt nach einem Schlagzeuger klingt und nicht nach einem Roboter. Der Gitarrensound war im Prinzip schon aus der Demophase gegeben. Der Gitarrenamp ist ein Engl Fireball und ein Engl V30 Cabinet. Das war exakt der Sound, den ich erreichen wollte, und auch die Eckpfeiler für die Produktion.
Übertriggerte Drums sind ja leider eine Art Mode geworden...was treibt einen deiner Meinung nach dazu?
Nun ja, um so zu arbeiten, wie ich bei diesem DARK FORTESS Album konnte...das geben wirklich nur die allerwenigsten Drummer her, muss ich sagen - vor allem, wenn es um so extreme Highspeed-Sachen geht. Ich kenne fast keinen anderen Drummer auf dem Planeten, der die Snares beim Blastbeat derart hart spielen kann wie Hannes Grossmann. Bei fast allen anderen Drummern im Extreme Metal bleibt dir kaum anderes übrig, als die Snare zu triggern, weil sonst nichts übrig bleibt. Als er damals bei NECROPHAGIST eingestiegen ist, hat er sich so ein bisschen die Frage gestellt "was mache ich, wenn ich jetzt krasse Blastbeats spielen muss?" Er kam ja eher aus einem Bereich, wo er es gewohnt war, seine Backbeats extrem hart zu spielen und da gab es für ihn zwei Optionen: entweder er spielt seine Backbeats nicht mehr so hart oder er trainiert so lange, bis er seine Blastbeats so brutal spielen kann, dass sie zu seinen Backbeats passen - und er hat sich für Zweiteres entschieden. Er ist einer von den ganz wenigen Extreme-Metal-Drummern, die so einen guten Natursound haben, d. h. mit ihm kann ich das machen.
Bei den meisten Drummern, die zu mir ins Studio kommen, habe ich keine Chance, so zu arbeiten wie ich es mit Hannes oder Seraph kann. Deshalb wird oft aus einer Notwendigkeit heraus getriggert, um Sachen überhaupt hörbar zu machen. Das Problem ist ja auch, dass der Metal generell eine Klangästhetik hat, die auf einer "wall of sound", Brutalität sowie auf sehr lauten und verzerrten Rhythmusgitarren beruht. Und laute, verzerrte Rhythmusgitarren sind etwas sehr Gnadenloses, die ein dynamisches Schlagzeug eigentlich fast nicht zulassen, denn wenn ein Schlagzeugsound sehr dynamisch wäre, kämen die lauten Schläge gut raus und die Leisen hörte man nicht. Deshalb hat man oft keine andere Wahl, als die Drums zu unterstützen. Es gibt da verschiedene Ansätze, wobei viele Engineers im Metal die Drums einfach durch Samples ersetzen - der Natursound wird quasi ausgetauscht. Es gibt aber auch den Ansatz, dass man die Natursounds behält und etwas mit Samples unterstützt, um ihnen mehr Durchschlagskraft und Stabilität zu geben. So arbeite ich normalerweise auch mit anderen Bands...dass ich die Natursounds benutze und nur so viel mit Samples unterstütze, wie es eben nötig ist. Und das hängt wiederum vom Schlagzeuger ab.
Das finde ich äußerst interessant! Und wie sind (waren) eure Pläne im Ausnahmezustand?
Also für uns als Band ist es zunächst einmal genauso beschissen wie für jede andere Band, da brauchen wir uns gar nicht großartig zu beschweren, weil es alle gleich trifft. Für uns ist es nur deshalb etwas unglücklich, weil unsere Releaseshows zum neuen Album hätten Ende März stattfinden sollen und es eben nicht mehr konnten. Das war für uns natürlich eine ziemliche Enttäuschung. Dass nun wie es scheint für den Rest des Jahres die Konzerte und Sommerfestivals gestorben sind, betrifft sowieso jeden, das ist halt "force majeure". Und wie es jedes Bandmitglied individuell trifft, ist sehr, sehr unterschiedlich. Mich trifft es zum Beispiel nicht so hart wie andere...ich habe relativ viel Glück in der aktuellen Situation, weil ich ja nach wie vor im Studio arbeiten kann. Ich kann zwar momentan keine Recordings machen, aber es stehen noch sechs oder sieben Album-Mixes in der Warteschlange. D. h., ich kann diese nun nacheinander abarbeiten und damit zumindest für ein paar Monate regulär arbeiten. Dann denke ich oder hoffe ich, dass das Schlimmste soweit überstanden sein wird.
Aber diejenigen, die direkt von der Liveszene abhängig sind, zählen sicherlich zu denen, die am allermeisten unter dem Corona-Lockdown leiden. Natürlich redet jetzt jeder über die Tourismusbranche, über die Restaurantbranche, usw., dass die schon Ende Mai, Anfang Juni wieder öffnen könnten. Aber man geht davon aus, dass das komplette Jahr über keine Konzerte mehr stattfinden können, d. h., dass alle, die ihr Geld über Liveveranstaltungen verdienen, überhaupt kein Einkommen mehr haben. Das trifft nicht nur Musiker, sondern auch besonders Techniker, Bookingagenturen, Merchandiser, usw. Und ich frage mich auch, wenn es irgendwann wieder weitergeht, welche Clubs dann noch da sein werden. Ich bin mir z. B. ziemlich sicher, dass Live Nation überleben wird und dass viele kleine, coole Independentclubs dicht machen müssen, weil sie es nicht überbrücken können und dann vielleicht von Live Nation aufgekauft werden. Deshalb macht es mir große Sorgen, wie die Liveszene in einem Jahr aussehen wird. Das ist zwar noch gar nicht abzusehen, aber ich kann mir kaum vorstellen, dass der Staat diese Randgruppe so lange mit Förderungen über Wasser halten wird. In Bayern ist es z. B. so, dass jeder, der bisher noch keine Förderungen bekommt, der einen Künstlerstatus hat und Mitglied in der KSK (Künstlersozialkasse) ist, ab sofort 1.000 € Hilfsleistung im Monat bekommt. Das ist was Wunderschönes, aber Leute, die eben diesen Künstlerstatus nicht haben - wie die Crew z. B. - bekommen nichts. Diese Leute fallen wirklich durch jede Art von Hilfsraster und um die mache ich mir echt Sorgen.
Es ist auch mein Eindruck, dass gerade der Kunstbereich eher stiefmütterlich behandelt wird.
Ich hatte dazu auch vor einigen Tagen in einem anderen Interview eine interessante Frage gestellt bekommen - und zwar, ob am Ende von Corona nur die großen Bands überleben werden. Eigentlich sehe ich das ganz anders...ich meine, die gigantisch großen Bands wie IRON MAIDEN und METALLICA, die können bestimmt überleben. Aber wenn man es jetzt z. B. auf unsere Szene bezieht - was sind dann eigentlich die größeren Bands? Das sind Bands, die sagen wir mal 500 oder 1.000 Leute ziehen können, wenn sie eine Show spielen. D. h., das sind Bands, die gerade groß genug sind, um komplett professionell von der Musik leben zu können. Genau diese Bands sind aber keine Millionäre. Das sind genau diese Bands, um die ich mir Sorgen mache, weil sie davon abhängig sind, dass sie dauernd Einnahmen über Shows generieren können. Um die kleinen Bands mache ich mir weniger Gedanken, weil die normalerweise andere Jobs haben und die Band als Hobby haben.
Wo sind DARK FORTRESS dabei einzuordnen?
Bei DARK FORTRESS kann niemand von der Band leben, das sieht man schon beim Blick in unsere Gig-Historie. Wenn wir mal eine Festivalshow spielen, ist die schon OK bezahlt, aber um davon zu leben, spielen wir einfach zu wenig. Wir sind zudem eine internationale Band, die über halb Europa verteilt wohnt - unser Keyboarder wohnt z. B. in Bergen (Norwegen) und unser Drummer und unser Sänger in Holland. D. h., es geht bei uns extrem viel für die Logistik, Flugtickets, usw. drauf. Daher bleibt von den Shows wenig übrig...von DARK FORTRESS kann niemand leben. Zudem sind vier von uns mittlerweile Freiberufler. Wenn ich bspw. mit DARK FORTRESS unterwegs bin, kann ich ja nicht meiner anderen Arbeit nachgehen und verdiene deutlich weniger Geld. Insoweit sind die Gagen eher eine kleine "Verdienstausfallskompensation". Im Prinzip kostet's mich eigentlich, wenn ich mit DARK FORTRESS spiele - aber so darf man's nicht sehen. Ich merke es ja jetzt: ich sitze seit zwei Monaten zu Hause und arbeite jeden Tag im Studio. Die ersten zwei, drei Wochen hat mir das gar nichts ausgemacht. Ich habe es sogar genossen, einfach mal ohne Ablenkung meine Arbeit machen zu können. Aber jetzt, nach zwei Monaten, merke ich, wie mir allmählich die Decke auf den Kopf fällt und es mich völlig ankotzt, immer nur zu Hause zu sitzen, weil mir das als Ausgleich extrem fehlt.
Und wo im Moment quasi jeder livetechnisch auf den Herbst baut - fasst ihr im Moment überhaupt irgendwelche Pläne ins Auge?
Ich glaube, im Moment kann man einfach nur abwarten, weil man nicht genau weiß, was passiert. Und wenn ich so die politischen Diskussionen verfolge, dann befürchte ich, dass es darauf hinausläuft, dass alle großen Veranstaltungen mit vielen Besuchern auf engem Raum erst dann wieder stattfinden, wenn es einen Impfstoff gibt. Und einen Impfstoff dürfte es in 2020 nicht mehr geben...deshalb fürchte ich - ich weiß es nicht, es ist nur meine Vermutung aufgrund der aktuellen Diskussionen - dass es in Deutschland oder Mitteleuropa keine Shows mehr in diesem Jahr geben wird. Tatsächlich haben wir noch vor Kurzem zwei Shows für Südamerika im Dezember zugesagt, aber als wir das getan haben, haben wir schon ein wenig geschmunzelt und uns gesagt "das ist jetzt schon gewissermaßen optimistisch". Ich meine, wir haben da kein Risiko, schlimmstenfalls haben wir ein paar E-Mails fürs Booking umsonst geschrieben...aber eigentlich kann ich es mir nicht vorstellen, dass die Shows stattfinden. Wir hatten auch geplant, im Oktober eine Headlinertour durch Europa zu machen, aber die haben wir auch auf unbestimmte Zeit verschoben. Wir haben zwar den Januar avisiert, aber ich weiß auch nicht, ob das realistisch ist. Ich glaube, solide planen kann man erst in ein paar Monaten, wenn man mehr weiß.
Vielleicht zapft man, solange man nichts Anderes machen kann, wieder die Kreativreserven an.
Ja klar! Interessanterweise bekomme ich im Moment relativ viele Anfragen für Album-Mixes. Ich sehe da viele Musiker, die im Moment zum Nichtstun verdammt sind...vor allem auch Leute, die einen normalen Job haben und gerade nicht zur Arbeit gehen - und diese Leute machen derzeit viel mehr Musik. Bei mir ist es leider nicht so, weil ich trotz allem sehr viel arbeite, aber ich kann mir gut vorstellen, dass das für Musiker gerade eine sehr kreative Zeit ist.
Klingt also trotz Allem nach ordentlich Arbeit für dich!
Ja, für mich schon. Das ist gewissermaßen Fluch und Segen - aber ich meine, wenn ich zu viel arbeite, bin ich ja selbst schuld. Eigentlich kann ich sehr glücklich sein, dass ich Musiker bin bzw. von Musik lebe, dass ich auch Freiberufler bin und dadurch aktuell genug Aufträge reinbekomme - während fast alle, die in derselben Branche arbeiten, gerade ihre ganzen Einnahmen verlieren. Von daher habe ich überhaupt kein Recht, mich zu beschweren.
Also hast du sozusagen Glück im Unglück. Damit wäre ich mit meinem Fragen auch schon am Ende. Noch einmal vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast! Gibt es zum Abschluss noch etwas, das dir auf der Seele brennt?
Eigentlich nicht, um ganz ehrlich zu sein! Wir haben jetzt viele aktuelle Themen sehr ausführlich besprochen und eigentlich bin ich immer froh, diese "famous last words" nicht sagen zu müssen. Da muss man sich immer was aus der Nase ziehen [lacht]!
Nun ja, das wäre dann auch ein Schlusswort!
Genau - dann sagt man immer so Sachen wie "hope to see you on the road", bla bla, diese Plattitüden spar' ich mir ganz gern!
Man könnte sich ja für die "last words" einen Generator anschaffen...wie der für die MANOWAR-Lyrics, kennst du den?
Jaja, unbedingt! Sowas in der Art!
Also noch einmal vielen Dank und dir noch einen schönen Abend!
Danke, dir auch, Ciao!