Interview: NEAERA - Stefan Keller
Die Auflösung war unumgänglich, organisch, harmonisch und, wie man jetzt sieht, gesund und genau das richtige.
Anlässlich zum Release des bärenstarken Comeback-Albums "Neaera" erklärte sich Gitarrist Stefan Keller bereit, Fragen rund um den Release und die Band zu beantworten.
Stormbringer.at: Sei gegrüßt, Stefan! Zunächst einmal möchte ich meine Freude darüber, dass NEAERA zurück sind, zum Ausdruck bringen - und natürlich auch zum gelungenen Comeback-Album gratulieren. Wie fühlt es sich für euch an, zurück zu sein?
Stefan: Danke, Pascal! Es fühlt sich ehrlich gesagt ziemlich gut an!
Stormbringer.at: Auf "eurer" Seite in den berüchtigten Metal Archives stehen relativ genaue Zeitangaben zu der (In-)Aktivität von NEAERA, aber lassen sich speziell die letzten Jahre (Zitat: „2004-2015, 2018-present“) überhaupt so eindeutig festlegen, oder habt ihr, salopp formuliert, nach dem Release von und den Gigs zu "Ours Is the Storm" einfach gemerkt, dass ihr eine künstlerische Auszeit braucht, wart aber gleichzeitig auch offen für vereinzelte Konzertanfragen, wenn denn einmal Bock darauf bestünde?
Stefan: Ich denke, da waren sehr viele Dinge im Spiel damals. Auf musisch-kreativer Seite kamen wir nicht richtig von der Stelle nach OITS. Wir haben relativ lange an vier Songs gearbeitet (keine davon sind übrigens auf dem neuen Album) und hatten unser gewohntes Tempo verloren. In textlicher Hinsicht fehlte mir der Drang sowie das Bedürfnis mich zu bestimmten Themen zu äussern. Ich hatte das Gefühl, wir hatten alles gesagt. Auf beruflicher Seite fingen einzelne Bandmitglieder teilweise erstmals an, ernsthaft an ihrer beruflichen Ausrichtung zu arbeiten und darüberhinaus verteilten wir uns auf immer mehr unterschiedliche Städte: Münster, Essen, Köln, Berlin. Die Auflösung war unumgänglich, organisch, harmonisch und, wie man jetzt sieht, gesund und genau das richtige.
Stormbringer.at: Wie kam es schlussendlich dazu, dass ihr wieder rundum aktiv sein und ein neues Album schreiben wolltet - und wann begann der Schreibprozess?
Stefan: Das fing erst ein paar Monate nach den beiden Impericon Shows in Oberhausen und Leipzig (2018) an. Dass die Leute uns so die Treue halten würden und so abgehen war uns ehrlich gesagt nicht bewusst und überhaupt nicht klar. Natürlich wissen wir um unsere treuen Fans, die echt der Hammer sind. Aber wir sind eher bodenständig als größenwahnsinnig. Nach 3 Jahren Abstinenz mussten wir erst mal schauen, wie wir überhaupt wahrgenommen werden. Die Shows haben die Pläne eines Comebacks sowie neuen Materials erst initiiert.
Stormbringer.at: Ist es für einen Künstler vielleicht auch mal notwendig, ein paar Jahre Pause einzulegen und den gewohnten Releaserhythmus zu unterbrechen, um gestärkt daraus hervorgehen zu können? Allgemeingültig lässt sich das natürlich nicht beantworten, aber wie kam das aus eurer Sicht zustande?
Stefan: Ich denke, das lässt sich generell nicht sagen. Schau Dir RUSH an. Diese Band, sicher eine Ausnahmeband, hat jahrzehntelang grandiose Alben geschrieben. Andere Bands brauchten eine Pause – ihr Repertoire war niemals erschöpft, die Quelle niemals versiegt. Oder DEATH! Bei uns waren auch andere Dinge im Spiel abseits der Kreativität, die ebenfalls in schlechte Verfassung geraten waren. Das Leben findet halt trotzdem statt und fördert oder begrenzt Kreativität und auch das Bedürfnis, Input kreativ zu verarbeiten.
Stormbringer.at: Oftmals hat man den Eindruck, dass Bands ihr Album genau dann als Selftitled deklarieren, wenn ihnen nichts Anderes dazu einfällt. Bei "Neaera" habe ich persönlich jedoch das Gefühl, dass es quasi die Essenz eures Sounds repräsentieren und stilistisch möglicherweise bei den Anknüpfpunkten ansetzen soll, die euren Werdegang maßgeblich geprägt bzw. vorangetrieben haben. Wie würdest du das bewerten?
Stefan: Es freut mich zu hören, dass rüberzukommen scheint, was wir uns dabei gedacht haben! Du sagst es genau richtig: es soll für die Essenz stehen. Auf mehreren Ebenen: wir haben seit 2003 dasselbe Line–Up. Sind zusammen durch Konflikte, Probleme, Erfolg und Euphorie gegangen. Auf dem 7. Album sind es immer noch die 5 Typen, die sich damals entschlossen, NEAERA zu sein. Musikalisch bündelt das Album die Trademark unseres Sounds, der sich nie besonders stark gewandelt hat. Auch die ersten Schritte der Band finden auf der neuen Platte Reminiszenzen. Und zuletzt ist textlich die Metapher von Unterdrückung und Freiheit der griechischen Neaera immer noch aktuell und wird lyrisch an aktuellen Situationen verarbeitet.
Stormbringer.at: Ist die Rückkehr zu Jacob Hansen auch ein Stück Homecoming gewesen und hängt das eventuell auch mit der vorherigen Frage zusammen?
Stefan: Ja, absolut! Er hat auch unseren Sound mitgeprägt und zwei unserer wichtigsten Alben gemacht. Seinen wuchtigen, organischen Sound mögen wir nach wie vor. Auch das Layout hat erneut Terje Johnsen aus Norwegen gemacht, der schon "Armamentarium", "Omnicide" und "Forging The Ecplise" designed hat. Beide sind für uns zeitlos. (Und nebenbei bemerkt geile Typen). Und mehr kann man nicht erwarten.
Stormbringer.at: Abgesehen davon, dass man euch klanglich sofort wiedererkennt, habe ich bei lyrischer Betrachtung das Gefühl, dass "Neaera" euer bisher bissigstes Album geworden ist, musikalisch gleichzeitig aber auch eine Spur kälter/abweisender und (noch) wütender als zuvor. Bilde ich mir das nur ein, oder liegt das im aktuellen Zustand dieser Welt begründet? Hat das möglicherweise sogar beim Schreibprozess nachgeholfen?
Stefan: Das mag stimmen! Textlich hat mir die Scheisse in der Welt definitiv geholfen, meine Textschreibefähigkeiten zurückzugewinnen. Auch musikalisch spielt Wut sicher eine Rolle. In "Resurrection Of Wrath" geht es um diese Wut: das Internet oder auch Fernsehen, die einen ständig mit besorgniserregenden und absurden Informationen übergießen. Gleichgültigkeit, Abstumpfung und Zynismus wären nachvollziehbar. Wut, so denke ich aber, ist angemessener.
Stormbringer.at: "Neaera" erscheint auch als Boxset. Handelt es sich bei der zweiten CD eigentlich um euer Demo aus dem Jahre 2004, das nirgendwo so richtig gelistet wird? Haben das damals nur Freunde und verschiedene Labels, von denen sich dann letztlich Metal Blade Records besonders interessiert zeigten, bekommen?
Stefan: Ja genau! Das ist es! Und das macht für mich persönlich die Box am meisten aus. Es ist die erste Aufnahme, die Metal Blade Records damals, trotz der nur 3 Konzerte, die wir gespielt haben, überzeugte, uns einen weltweiten Vertrag anzubieten. Damals völlig surreal. Heute eigentlich immer noch! Das Demo klingt nach wie vor gut! Produziert von Matthias Lohmöller in Osnabrück. Stichpunkt Homecoming: er hat auch die Drums auf dem neuen Album aufgenommen.
Stormbringer.at: Knapp einen Monat nach "Neaera" releasen auch eure Kollegen von HEAVEN SHALL BURN ihr neues Album, "Of Truth & Sacrifice". Ist da möglicherweise eine gemeinsame Tour geplant?
Stefan: Es wär sehr geil gewesen, aber jetzt erst mal nicht. Wir lieben die Jungs und haben großen Respekt vor und tolle Erinnerungen mit ihnen. Wir werden sehen.
Stormbringer.at: Ihr verpackt in euren Texten gerne Gesellschafts- und Sozialkritik, zeigt Haltung. Wie wichtig ist es für euch, das zu tun und wie hat sich das, gerade auch vor dem Hintergrund aktuelleren Zeitgeschehens und das Erstarken rechts-nationaler Strömungen, auf "Neaera" ausgewirkt?
Stefan: Es ist extrem wichtig für uns. Eben aufgrund des Erstarken nationalistischen, rechten und populistischen Gedankenguts ist Flagge zeigen, wenn auch nur lyrisch, wichtig. Und es passt zu der modernen Version des Metals, wie wir ihn spielen, aktuelle Geschehnisse abzudecken und zu vertextlichen. Jetzt hör' Dir doch Bennis angepisste Stimme an. Er muss doch über etwas Bedeutendes schreien. "False Shepherds" und "Sunset of Mankind" thematisieren diese oben von Dir beschriebene Thematik.
Stormbringer.at: Was sind eure Pläne oder Wünsche für die Zukunft, oder lasst ihr das fortan einfach auf euch zukommen?
Stefan: Ich würde mir wünschen, das Gespür nicht zu verlieren bzw. besser zu haben, was den Menschen unsere Musik bedeutet. Man kann es herausfinden. Aber man muss sehr genau hinhören.
Stormbringer.at: Ich möchte mich für die von dir investierte Zeit bedanken und überlasse dir die berüchtigten letzten Worte!
Stefan: Danke Pascal und Stormbringer! Dir Pascal für dein großes Verständnis für unsere Band und Stormbringer für die jahrelange Treue! Die Shows in Österreich waren immer der Oberhammer. Aber ohne Witz: Hoffentlich bis bald!!!