Interview: HELRUNAR - Marcel

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Sie streiten sich dann alle bei Facebook, sie streiten sich und meinen es wäre ein großer Diskurs an dem man teilnehmen müsse, in dem man Position beziehen müsse und merken aber nicht, dass sie eigentlich nur Teil haben an einem gewaltigen Nichts, dass ihre Meinung einen Scheißdreck interessiert.

In diesem sehr, sehr ausgiebigen Interview spricht der HELRUNAR Frontmann auch über ARSTÍÐIR LÍFSINS, sein künstlerisches Selbstverständnis und unsere entzauberte Welt. Dabei erweist er sich als jemand, der auch auf triviale und kleine Nebenfragen tiefsinnige Antworten geben kann.

Veröffentlicht am 07.02.2020

Letztes Jahr habt ihr relativ wenige Liveauftritte absolviert. War das geplant oder hatte es sich so ergeben? 
Das hat sich eher so ergeben. Das war eigentlich nicht geplant. Wir hätte gerne, besonders mit dem neuen Album [„Vanitas Vanitatvm“ erschienen 2018] mehr live gespielt, aber irgendwie ist das mit dem Booking nicht so gut gelaufen wie wir uns das vorgestellt und erhofft hatten. Da wurden diverse Anfragen, war aber nicht unsere Schuld, auch zu spät eingereicht. Dafür spielen wir dieses Jahr dann mehr live. Und es ist so, live spielen ist schon wichtig, aber es ist jetzt nicht das zentrale Ding für uns. Wir machen das manchmal schon gerne, aber letzten Endes sind wir lieber im Studio und nehmen ein neues Album auf. Das ist das was uns an Arbeit wichtiger ist oder mehr bedeutet, mehr Spaß macht auch, an einem neuen Album zu arbeiten, zu komponieren, die Lyrics auszuarbeiten und das Ganze dann aufzunehmen, zu sehen wie es immer mehr Form annimmt. Das ist eigentlich das wirklich Schöne am Musik machen. Livekonzert ist eher so ein Sahnehäubchen ab und zu, aber manchmal kann es auch nervig sein. Wichtiger ist das kreative Schaffen an sich.

Also seht ihr euch eher als Studio-,  denn als Liveband?
Im Prinzip ja.

Dieses Jahr kommt ihr auch wieder nach Österreich. Letztes Jahr wart ihr in Wien, heuer spielt ihr auf dem Kaltenbach Open Air. Wie gefällt euch Österreich?
Wir haben damit immer sehr gute Erfahrungen gemacht. Die Shows waren immer toll, die Reaktion der Leute war immer gut. Ein paar Mal haben wir in Wien gespielt, zweimal im Viper Room...


Und zuletzt im Escape Metalcorner.
Genau. Und da waren die Reaktionen des Publikums immer ganz toll. Da waren wir immer sehr glücklich mit.

Gestern habt ihr die erste Show der „Eis und Nacht“ Tour gespielt. Wie ist es gelaufen?
Das war sehr gut, war ein sehr guter Einstand, der Laden war schön voll. Die Leute sind auch gut abgegangen, also haben alle Bands richtig abgefeiert. Man merkt auch, es ist gut gewähltes Package, auch von den Konzepten der Bands her, untereinander harmonisiert das sehr gut. Spricht auch ganz viele Leute an, das hat man gestern auch gemerkt, war ein ganz toller Einstand, kann man sich nicht besser wünschen. Der Sound auf der Bühne war toll, der Sound im Laden war wohl gut, alles super.

Sebastian spielt seit „Sól“ auf den Alben fast alle Instrumente, live spielt er Schlagzeug. Hat es ihn schon mal gereizt live für einen Song an ein anderes Instrument zu wechseln?
Live jetzt meinst du? Bei HELRUNAR nicht, da ist er mit der Schlagzeugerposition sehr, sehr zufrieden, glaube ich. Er spielt für andere Bands, z.B. für SUN OF THE SLEEPLESS spielt er live Gitarre. Aber bei HELRUNAR ist er damit sehr zufrieden und unser Lineup, so wie es live jetzt steht, ist auch sehr gut, kann ich mir nicht besser vorstellen, darf so bleiben, sind alle glücklich mit ihrer Position.

Sebastian und du spielt live nun schon etwas länger mit denselben Musikern, Stefán und Árni von ARSTÍÐIR LÍFSINS und Rainer von ABROGATION. Inwieweit seht ihr sie schon quasi als Teil der Band oder was bringen sie zur Band?
Das Komponieren im Wesentlichen und das Texten machen Sebastian und ich. Aber unheimlich viel von der ganzen Arbeit drumherum, auch was das Organisatorische angeht, auch was Inspiration durchaus auch mal angeht, Kommunikation, Auseinandersetzung über bestimmte Konzepte oder Themen die auf künftigen Alben vielleicht verarbeitet werden von uns, da findet schon viel statt. Und alle drei hängen sich auch sehr, sehr, sehr rein. Geben sehr viel ihrer Zeit und Mühe in die Band, was wir auch unheimlich toll finden. Also insofern, klar, Sebastian und ich sind der Kern der Band wenn es ums Aufnehmen und Schaffen geht, aber alle anderen sind auch sehr, sehr wichtige Mitglieder, auf jeden Fall. Und das kann gerne so bleiben, dieses Lineup, das ist eigentlich perfekt. Auch von den menschlichen Verhältnissen untereinander her, was auch sehr, sehr wichtig ist. Man hat immer wieder mal, dass du mit Musikern zusammen spielst, wo es von der Psychologie her nicht so gut passt und von der Persönlichkeit her und das kann dann sehr belastend werden, aber da läuft es einfach super. Wir haben alle eine Macke, auf jeden Fall. Also die komplette Band hat irgendwie einen Lattenschuss, jeder auf seine eigene Art. Aber alle anderen kommen damit klar, kennen das auch und wissen wie damit umzugehen ist und das ist super so, kann man nicht besser haben, finde ich.

ÁRSTÍÐIR LÍFSINS, die Band eurer beiden Livegitarristen, für die du auch singst, hat letztes Jahr ein neues Album herausgebracht [„Saga á tveim tungum I: Vápn ok viðr „]. Möchtest du uns darüber auch ein bisschen was erzählen?
Ja, kann ich machen, soweit ich involviert bin. Der kreative Mastermind hinter der Sache ist Stefán, eigentlich, vor allem was das Konzept angeht und die grundlegenden Kompositionen, dann kommt Árni und packt noch sehr viel dazu, gerade das Ganze was in Richtung Folk oder klassische Musik geht, diese Kompositionen, die Chöre wie sie komponiert und strukturiert sind, vor allem die Streicher natürlich auch, das alles ist Árni. Und die Texte kommen größtenteils auch alle von Stefán, die er dann mit großer historischer Recherche auch wirklich sorgfältig erarbeitet, da bewegen wir uns sehr, sehr nah an den Originalquellen auch. Wir möchten den Leuten keinen Scheiß erzählen. Wichtig ist uns, wenn man so eine Form von Viking- oder Pagan Metal, wenn man es so nennen will, macht, dass man den Leute keine Scheiße erzählt. Es wird viel zu viel idealisiert, es sind zu viele romantische Ideen drinnen, es ist viel zu viel das eher - wie soll man sagen? - modernen Medienrezeptionen entsprechen täte. Spielfilme, Serien oder so was. So was wird da musikalisch umgesetzt. So was sollte man eher Fantasymetal nennen, finde ich. Wenn man sich mit historischen Thematiken auseinandersetzen möchte, hundertprozentig authentisch kann man es nie tun, dazu weiß man es einfach nicht gut genug, aber man sollte sich so weit annähern wie es geht, alleine schon um eine Atmosphäre zu schaffen, die den Hörer vielleicht mitnimmt und eben ihm auch keinen Mist zu erzählen. Und mein Beitrag bei  ARSTÍÐIR LÍFSINS ist vor allem der Gesang. So ab und zu kommen ein paar Ideen von mir mit dazu, aber mein kreativer Teil muss ich sagen, ist da relativ gering. Kann sich auch mal ändern. Ich habe durchaus Lust da auch mal einen Song oder einen Text zu schreiben, aber das Wesentliche machen Stefán und Árni. 
Bei „Saga á tveim tungum“, im Prinzip ist es die Geschichte von Olaf dem Heiligen, der Norwegen christianisiert hat. Am ersten Teil des Albums, das letztes Jahr erschienen ist, sehen wir die Perspektive aus der Sicht eines Gefolgsmannes von Olaf dem Heiligen, also einem Christen, der diese Feldzüge mitmacht und Zeuge der Christianisierung wird. Das Ganze auch mit viel Blutvergießen und recht grausam. Der zweite Teil, der bald jetzt erscheinen wird, zeigt die andere Seite der Medaille sozusagen, aus einer weiblichen Perspektive, die eine Heilerin ist und heidnisch, an die alten Götter noch glaubt und wie die das Ganze erlebt. Also all die Kriege und das Schlachten und so weiter. Und da versuchen wir einen ausgeglichenen Blickwinkel herzustellen. Auf dem zweiten ist dann natürlich sehr viel mythologische Sicht drauf, Runentexte sind auch drinnen verarbeitet, dass man da so ein bisschen eine Balance hat. Und nach wie vor ist sehr viel Quellenarbeit drinnen, sodass man dann hoffentlich nachher ein eindrucksvolles Gesamtkunstwerk hat mit beiden Alben zusammen.

Gerade isländische Texte sind etwas schwer zugänglich, da die Sprache wenig sprechen. Gab es da Überlegungen englische Übersetzungen mit rein zu nehmen ins Booklet?
Also das macht Stefán eigentlich regelmäßig, dass er schaut, dass er englische Übersetzungen mit rein nimmt, damit die interessierten Hörer es auch lesen und verstehen können. Was wir jetzt nicht vorhaben, ist jemals englische oder gar deutsche Texte zu machen für  ARSTÍÐIR LÍFSINS. Da ist Teil des Bandkonzeptes einfach das soll Altisländisch sein was wir da singen, weil es nah an den Quellen ist, weil so eine Sprache auch eine gewisse Atmosphäre transportiert. Also jede Sprache hat ja ein Eigenleben, jede Sprache ist ein eigener Weg die Welt zu begreifen und einzuordnen und da ist es bei  ARSTÍÐIR LÍFSINS ganz wichtig, dass der Zugang auch atmosphärisch durch die Sprache erfolgt, nicht nur durch die Musik, durch die Folk- und Streicherpassagen und so weiter, sondern eben auch durch die Sprache.

Das Album gibt es nicht auf Spotify, war das eine bewusste Entscheidung der Band?
[War sich nicht sicher, Stefán bestätigte nachher, dass das vom Label kam].
 Ich glaube, dass man letzten Endes heutzutage gar nicht mehr anders arbeiten kann, als dass man über die verschiedenen digitalen Vertriebswege das Album eben auch anbietet. Am besten ist sicherlich Bandcamp, also wenn es irgendwelche Fans gibt, die sagen: „Ich möchte gerne downloaden oder streamen und ich möchte der Band trotzdem einen gerechten Anteil zukommen lassen“, da sollte man am besten Bandcamp nutzen.


Da haben die Bands am meisten davon.
Genau. YouTube und Spotify hat man mittlerweile auch ein bisschen mehr Glück, seit die GEMA sich da ein bisschen reingehängt hat. Aber es sind nach wie vor Vertriebswege die Musiker nicht so fair bezahlen. Aber das schönste ist natürlich nach wie vor die physische Sache, also eine CD oder ein Vinyl in der Hand zu haben, das ist natürlich das Beste.

Im Zeitalter des Streamings, was zwar auch gewisse Vorzüge habe mag, hat sich das Verhältnis zu Alben ja sehr geändert. Wenige nehmen sich noch die Zeit, bewusst ein Album von Anfang bis Ende bewusst zu hören, das Artwork dabei auf sich wirken zu lassen, die Texte oder sonstiges im Booklet zu lesen. Denkst du, dass einem damit auch so manches entgeht, da manche Alben nicht einfach nur ein paar Songs beinhalten, die man wahllos hören kann, sondern eigentlich Gesamtkunstwerke sind? 
Ja! Ich denke das den Menschen bisweilen da sehr viel entgeht. Ich glaube sogar so weit gehen zu können zu sagen, dass auch mir viel dabei entgeht. Weil ganz einfach durch den einfachen Zugang zu Musik wird man zugleich einer Flut von Veröffentlichungen ausgesetzt und da weiß man das Einzelne vielleicht gar nicht mehr richtig zu würdigen. Da hört man ein Album einmal durch, so schnell gestreamt, merkt irgendwie: „Das sagt mir nicht so zu, weg damit, das höre ich nicht nochmal!“, wobei es vielleicht ein Album war das zwei, drei, vier, fünf Höhrdurchgänge braucht ehe man es richtig versteht und es anfängt zu zünden und das kann dann leicht unter den Tisch fallen. Wenn ich daran denke wie es in den 90ern war, wenn man da so ein Black Metal Fan war, da kamen nicht so viele neue Sachen raus. Das wurde im Laufe der 90er immer mehr aber am Anfang war das nicht viel und dann hat man aber die eine CD die man sich im Monat kaufen konnte, weil man nur dafür genug Geld hatte, die hat man dann rauf und runter gehört und richtig inhaliert und man hat das ganze Kunstwerk in sich aufgesaugt. Und das ist natürlich heute nicht mehr so angesagt, das ist schade, ich glaube schon, dass da etwas verloren geht. Andererseits hat das auch wieder eine Rückwirkung auf die Musikindustrie selbst hat oder auf die Komponisten, auf die Musiker selbst, dass die auch mehr und mehr Dinge produzieren, Musik produzieren, die platt ist, die einfach zugänglich ist, die auf den ersten Höreindruck schnell knallt, damit sie damit entsprechende Hörerscharen erreichen und immer mehr Tiefe verloren geht, dass immer mehr auf die Ästhetik hinausläuft, eine tolle Bühnenshow, mit Kostümen, mit Effekten, was weiß ich, die Musik ist hervorragend produziert, es knallt, alles digital, macht einen schnellen Eindruck, das nehmen die Leute war, während der Kern des Ganzen, das wie eine Message war oder ein Inhalt, ein ideologischer, ein philosophischer,  immer mehr in den Hintergrund rückt. Wenn dann überhaupt nur noch Effekthascherei und Staffage wird.

Es ist auch ein gewisses Risiko heutzutage für eine Band, wie du schon sagst, ein anspruchsvolleres Album zu machen das mehrere Durchgänge braucht bis es zündet, auch gerade für neue oder jüngere Bands, die noch kein so breites Publikum haben und sich erst eines erarbeiten müssen. Die ganze Szene ist nicht mehr überschaubar, es wird immer leichter auch selbst Musik aufzunehmen...
Ja! Das auch.


...Es wird immer leichter sie zu veröffentlichen, das ist so ein bisschen Vor- und Nachteil des Internets, auch Bandcamp, aber da wird sich auch bald nichts ändern, auch keine Strategien für Bands die Hörer dazu zu bringen sich intensiver mit der Musik zu beschäftigen. Denkst du dass z.B. wie für „Sól“, da habt ihr auch ein Artbook rausgebracht, wenn die Fans wissen, da ist noch etwas Besonderes dabei bei der Veröffentlichung, dass das ein größerer Anreiz ist sich damit zu beschäftigen?
Ja, ganz bestimmt ist das ein Vehikel. Das haben wir gemerkt, dass wenn man darauf achtet etwas herauszubringen das auch eine richtig schöne Aufmachung hat, was auch einen gewissen Mehrwert bietet sozusagen, vom Anschauen her, das man damit ein Transportvehikel findet Menschen auch anzusprechen und auch dazu zu bringen sich mit tiefer gehenden Dingen zu beschäftigen. Ich weiß nur nicht wie das weiter gehen wird, im Moment haben wir ja diese Entwicklung, dass es immer oberflächlicher wird, immer mehr, immer einfacher alles zu machen, aber ich kann mir gut vorstellen, dass es irgendwann wieder umschlägt, dass irgendwann alle so übersättigt sind von diesem Angebot, dass sich dann Leute wieder zurück ziehen und sich konzentrieren vielleicht auf das wenige Besondere das sie suchen. Ist eine reine Theorie. Aber generell sollte man als Musiker so authentisch sein das zu machen was man wirklich machen will und nicht immer im Hinterkopf zu haben: „Wie erreiche ich jetzt möglichst viele Menschen? Verstehen die überhaupt was ich mache?“ nicht den Erklärbär machen, mach einfach das was du sagen willst, mach es auf die Art und Weise auf die du es sagen willst und achte nicht darauf, ob du davon jetzt viel verkaufst oder so. Das wäre der falsche Ansatz. Wenn du es mit Ehrlichkeit und Leidenschaft machst und wenn du es auch kannst, auch gut machst, dann wird das was du machst seine Hörer finden und das wird von denen auch gewertschätzt werden. Vielleicht ist es dann nicht die große Masse, die Musik die wir machen ist sowieso nicht für die große Masse gemacht, das ist was für eine kleinere Gruppe von Menschen, die diese ästhetische Vorliebe Black Metal haben und dann ist es auch gut. Und dass wir damit so viel Erfolg haben, also dann doch auch ein paar Platten verkaufen, dann auch auf Touren viele Leute zu unseren Konzerten kommen, da können wir bestens zufrieden damit sein. Mehr kann man sich eigentlich gar nicht mehr wünschen heutzutage.

Als Bob Dylan 2016 den Literaturnobelpreis verliehen bekam, echauffierten sich viele geistige Kinder Adornos darüber. Populärer Musik, zu der nun mal auch der Heavy Metal gehört, wird häufig der künstlerische Anspruch aberkannt, dabei sind Songtexte, im Englischen passend lyrics, ja eigentlich eine moderne Form von Lyrik. Wie siehst du das?
Auf jeden Fall! Ich weiß nicht wie es im Ausland ist, ich glaube, dass Kultur im Deutschen sowieso ein elitärer Begriff ist. Das heißt Kultur ist was höher Geistiges: klassische Musik, das ist das was im Museum ist, Kunst die im Museum hängt, während das was im Radio läuft oder was ein Metalmusiker so macht das ist keine Kultur, das ist irgendwie Spaßmusik oder so was. Ist Blödsinn! Ich habe nun mal Kulturanthropologie studiert und als Kulturanthropologe betrachtet man alles menschliche Wirken und Schaffen als Kultur. Dementsprechend ist auch ein Metalsong natürlich etwas was mit Kultur zu tun hat, ein Teil von Kultur. Bob Dylan hat genau so eine Berechtigung einen Literaturnobelpreis zu erhalten wie jeder schöngeistige Autor. Ich mache da keinen großartigen Unterschied, das sind alles nur verschiedene Formen, verschiedene Stilmittel sich zu äußern als Künstler und letzten Endes obliegt es jetzt nicht irgendwelchen konservativen, arroganten Zirkeln zu entscheiden was Kunst ist und was nicht, was Kultur ist und was nicht. Man kann unterscheiden zwischen guter Kunst und schlechter Kunst. Man kann sehen, ob etwas gut gemacht ist oder schlecht gemacht ist. Ob der, der es gemacht hat sein Handwerk versteht oder nicht. Letzten Endes ist auch viel eigener Geschmack dabei, aber bitte nicht sagen: „Dieses Genre ist Kultur und wertvoll und dieses ist es nicht“, das ist Quatsch!

Siehst du dich selbst als Künstler? 
[Seufzt] Ja, durchaus. Klingt vielleicht arrogant, wenn ich das so sage, aber es ist ein gewisses Selbstverständnis oder ein Anspruch den ich an mich selbst herantrage. Das heißt, wenn ich mich selbst als Künstler bezeichne, dann muss ich diesen Anspruch den ich an mich habe auch erfüllen, dann kann ich nicht einfach irgendeinen Kacktext schreiben weil ich gerade keine Zeit habe oder besoffen bin oder so was und dann sagen: „So! Den hau' ich jetzt raus und den werden bestimmt viele Leute gut finden.“ Vielleicht finden den viele Leute gut, aber er wird meinem Anspruch an dem was ich zu schreiben habe nicht gerecht.

Wie würdest du für dich persönlich Kunst definieren?
Kunst definieren, ich glaube das ist sehr, sehr schwer. Genau wie es nicht den einen Weg gibt ein Buch zu schreiben oder einen Song zu schreiben, sondern es gibt ganz viele verschiedene Herangehensweisen, kann man auch schlecht sagen: „Dies ist Kunst und jenes nicht.“ Kunst ist eine symbolhafte Äußerung eines Menschen oder auch einer Gruppe von Menschen, die in bildnerischer, musikalischer oder textlicher oder erzählerischer Form erfolgen kann, ganz verschiedene. Alle Kunstformen haben gleichermaßen ihre Berechtigung. Die besten Kunstwerke beschreiben viele Dinge zugleich. Kunst sollte den Betrachter anrühren, berühren, zum Nachdenken bringen, meiner Meinung nach zumindest. Kunst sollte man abgrenzen von Kitsch, das ist sehr, sehr wichtig, gerade wenn wir über Pagan Metal oder so was reden, da ist vieles Kitsch und keine Kunst, meiner Meinung nach. Woran merkt man den Unterschied zwischen Kunst und Kitsch? Kunst versucht sich von Klischees fernzuhalten, Kunst versucht nicht den Erklärbär zu machen, Kunst versucht nicht etwas zu beschönigen. Kunst muss im Gegenteil eigentlich oftmals wehtun, da angreifen wo man anfängt zu heulen, da wo es einem berührt. Das wär so ein grobes, nebeliges Feld wo ich versuchen würde... so würde ich versuchen Kunst zu erfassen.

Du hast schon konkrete Ideen wenn du deine Texte schreibst, schreibst sie aber gerne so, dass die Lieder offen für Interpretation bleiben, das man sie mehrdeutig auslegen kann oder wie auch andere Formen von Kunst, dass sie auch durch andere Komponenten die da noch mitspielen, bestimmte Gefühle oder Bilder in uns erzeugen. Ist es dir schon mal passiert, dass, nachdem ein Song fertig war, sich auch für dich selbst noch andere Assoziationen aufgetan haben?
Tatsächlich schon öfter. Also das ist etwas, speziell wenn ich schreibe mich sehr gerne entweder an Lyrik oder an Mythen orientiere, was die Symbolhaftigkeit und die Struktur der Texte angeht. Es sind beide im Prinzip Kunstformen, oder Erzählformen, die sehr offen sind in ihrer Bedeutsamkeit. Das haben Mythos, Lyrik und auch der Traum des Menschen gemeinsam, diese Symbolhaftigkeit und Offenheit, das finde ich auch das faszinierende daran. Ich glaube, dass darin etwas ungeheuer Wertvolles liegt und etwas ungeheuer Zeitloses auch, dass wenn man Kunst auf diese Weise macht, dass es dann in 500 Jahren einem Menschen noch genauso etwas sagen und berühren kann, da es eine gewisse Zeitlosigkeit, eine gewisse Offenheit hat. Das ist mir in der Tat auch schon mal öfter aufgefallen, nach einem halben Jahr habe ich einen Song von mir nochmal gehört, in neuen Kontext gesetzt und plötzlich entdecke ich neue Zusammenhänge. Das war vielleicht das Unbewusste was da mitschreibt oder so, könnte gut sein.

Möchtest du da ein konkretes Beispiel anführen?
Wenn mir eines einfiel! Es war so, als wir 2011, vor neun Jahren, „Sól“ rausgebracht haben, das war ein Werk wo wir sehr, sehr viel Arbeit reingesteckt haben, was man hoffentlich auch merkt und da steckt sehr viel Verarbeitung des Erlebten auch drinnen. Auch eine sehr mythische, symbolhafte Sprache. Jeder Text ist eigentlich eine andere Station, der scheinbar auch erst gar keinen Zusammenhang mit den anderen Texten hat, die dann aber wiederum Parallelen untereinander haben u.s.w. u.s.f. und da haben wir beide viel verarbeitet, auch viele negative Erfahrungen im Leben, da möchte ich jetzt nicht zu viel drauf eingehen, das wäre auch zu persönlich, das will auch niemand wissen was für Egodramen ich da erlebt habe, das ist uninteressant. Das Interessante ist das Archaische, die tiefgründige Ebene, was allen Menschen was sagt, darum geht’s eigentlich. Und als wir dann die LP Box neu raus gebracht haben, wo alle „Sól“ Alben noch mal drin sind, musste ich im Vorfeld alle Alben nochmal durchhören, alle HELRUNAR Alben die da als LP drin sind, um zu schauen, ist die Klangqualität gut, also rein technisch. Da habe ich dann „Sól“ auch noch durchgehört und das hat mich ungeheuer noch mal mitgenommen, weil in den letzten ein, zwei Jahren es mir ganz ähnlich ging wie im Vorfeld zu „Sól“. Da waren erneut große Konflikte die verarbeitet werden mussten und plötzlich war dieses Album wieder da und ich erinnerte mich daran und dieses Album half mir dann bei der Reflexion auch dieser neueren Dinge, da ich merkte: „Okay, da war ich schon mal.“ So ungefähr, so läuft ein Verarbeitungs- und Heilungsprozess ab, das ist es dann eher wieder. Ja, so kann man es sagen.

Wie viele Sprachen sprichst du?
Also... ich spreche Deutsch, Niederdeutsch, Norwegisch und Englisch fließend. Ich spreche Schwedisch, Dänisch und Niederländisch funktional. Ich spreche auch ein bisschen Französisch. Habe ich noch was vergessen? Ich kann auch ein bisschen Latein, ich weiß aber nicht ob ich es auch wirklich fließend sprechen könnte. Wenn ich im alten Rom landen würde und was zu essen bestellen wollte, ich wüsste nicht, ob das klappen würde, aber ich könnte es versuchen.

Mit deinen Sprachkenntnissen und deinem ganzen Interesse für Geschichte, Mythen. Literatur und deinen Studien, was denkst du sind da noch Aspekte die HELRUNAR besonders machen und euch von anderen Bands dieses Genres unterscheiden?
Ganz bestimmt die musikalischen Einflüsse, auch wenn es jetzt banal klingt, aber Sebastian und ich sind sehr, sehr stark beeinflusst von den norwegischen Bands der 90er. Das sind auch nach wie vor unsere großen Helden, da kommt für uns nichts drüber. Keine neue Black Metal Veröffentlichung fängt uns so ein wie diese alten Sachen aus den 90ern von DARKTHRONE, EMPEROR, MAYHEM, BURZUM und ich glaube das schwingt bei unserer Musik immer mit. Auch bei den neueren Alben, die sich auch viel Inspiration aus Death Metal und Doom Metal holen auch da ist da das Grundgefühl noch immer da, gewissermaßen. Was mag noch dabei sein? Das wir da auch glaube ich versuchen, Klischees zu vermeiden. Einerseits mögen wir es uns im abgesteckten Bereich des Metal zu bewegen, weil es eine Szene ist, oder eine Kunstform ist, speziell jetzt extremer Metal, die wir sehr, sehr mögen, wo wir auch nicht möchten, dass da bestimmte Genregrenzen gesprengt werden. An anderen Stellen aber sprengen wir diese Grenzen gerne, wenn wir sagen das ist in Ordnung, z.B. textlich. Ich glaube, dass wir uns textlich versuchen recht wenige Grenzen zu setzen. Da ist das wichtige der Ausdruck, stimmt das am Ende noch? Ist das was wir da machen als Gesamtklangbild stimmig, dann ist es in Ordnung. Aber wir hätten keine Lust jetzt irgendwie Metal mit Hip Hop zu kreuzen oder so was, das wäre für uns ein totales No-Go, das geht einfach nicht, so was macht man nicht. Da sind wir Kinder der 90er, definitiv.

Hast du sonst schon mal andere Musik gespielt oder generell auch Interesse an anderen Musikrichtungen?
Das schon, aber ich würde das klar von HELRUNAR getrennt machen. Ich habe mit Árni und Stefán zusammen auch WÖLJAGER gemacht und das ist halt wirklich Neo-Folk oder sagen wir melancholische Folkmusik. Nicht was ganz anderes, aber schon was anderes und es hat auch sehr, sehr großen Spaß gemacht. Eine ganz andere Form der Arbeit eigentlich und ich würde durchaus auch gerne andere musikalische Stilrichtungen ausprobieren. Also ich selber höre eigentlich ganz viele verschiedene Musik, von allen möglichen Formen von Metal über klassische Musik, Soundtracks, 70er Jahre Rock, 60er Jahre Rock, alte Sachen, viele Sachen aus dem Alternative-/Indie-Bereich. Also da bin ich, was das angeht, vielseitig interessiert musikalisch und wenn mir was gefällt dann würde ich das auch gerne mal ausprobieren. Klar. Hätte ich jetzt keine Scheuklappen. Wir würden es halt nicht mit HELRUNAR machen, das ist ein klares Ding, das soll sich in einem bestimmten Bereich bewegen und so soll es auch bleiben.

Welche drei Bücher würdest du auf eine einsame Insel mitnehmen?
Drei Bücher? Überlegen wir mal... Also ganz bestimmt wäre „Der Herr der Ringe“ mit dabei, ganz klischeehaft, aber es ist ein tolles Buch, ich habe es mit 14 das erste mal gelesen, hat mich damals wahnsinnig abgeholt und berührt. Wenn man damals ein Nerd war, heute ist Nerd so ein Modebegriff, es ist cool Nerd zu sein und „Star Wars“ und „Herr der Ringe“ zu mögen, wenn das damals so war, war das überhaupt nicht cool. Wenn man damals ein Nerd war, war man der Außenseiter und wurden ständig nur Witze über einen gemacht, wurde man nur aufgezogen und ausgegrenzt. Das ist so ähnlich wie mit trve sein im Black Metal. Ich kann diesen ganzen Nerdkram heutzutage kaum ernst nehmen, weil diese Leute nicht dafür gelitten haben Nerd zu sein. Man muss darunter leiden, dass man Marvel Comics mag und dass man „Der Herr der Ringe“ mag und „Star Wars“ mag und darum gerade trotzdem dazu stehen, dann ist man wirklich ein Nerd, ansonsten nicht.
Also, „Der Herr der Ringe“ wäre Buch Nummer eins. Überlegen wir weiter. Buch Nummer zwei... Ich würde gewiss irgendeinen Lyrikband mitnehmen, da liegt die Schwierigkeit eher im Auswählen als im Finden. Es könnte gerne was von Shakespeare sein oder auch von Rilke. Also Rilke eher für die melancholischen Stunden und Shakespeare so eher für das Erbauliche, für den tieferen Einblick im Leben, denn das hatte Shakespeare super geschafft, mit seinen Geschichten erzählt er das ganze Leben ganz, ganz prima. Das als zweites Buch.
Als drittes Buch würde ich dann was anderes mitnehmen, denn dann haben wir eine schöne Geschichte mit „Der Herr der Ringe“, dann haben wir Lyrik als zweites Teil, was auch wichtig ist, und als drittes würde ich eher ein wissenschaftliches Buch mitnehmen. Ich habe als ich jünger war, glaube ich auch 14/15 habe ich von Carl Sagan gelesen „Unser Kosmos“. So ein Buch wo er auf dem damaligen Stand der Forschung die Entstehung des Universums erklärt und wie alles zusammenhängt. Die Evolution, wie funktioniert ein Stern, wie die Relativitätstheorie und all das, das würde ich dann als drittes mitnehmen, einfach zur wissenschaftlichen Erbauung.

Was liest du lieber, fiktive Literatur oder Sachbücher wie wissenschaftliche Werke?
Sowohl als auch. Tendenziell... ich mag fiktive Literatur weil sie mir einen gewissen bewussten Eskapismus ermöglicht und den brauche ich manchmal, weil mir die Welt unglaublich auf die Nerven geht und Menschen gehen mir auf die Nerven. Ich habe nicht gerne mit vielen Menschen zu tun, ich finde die anstrengend. Erfundene Menschen finde ich nicht anstrengend, darum lese ich lieber über Menschen als das ich ihnen begegne. Insofern mag ich fiktive Literatur sehr, sehr gerne, verschiedene Genres, kann auch gerne Fantasy oder Science Fiction sein, aber auch Klassiker der Weltliteratur. Aber ich glaube, ich brauche ab und zu auch wieder um das Ganze zu unterfüttern mit dem nötigen Kontext brauche ich wieder wissenschaftliche Literatur zwischendurch, am liebsten was Historisches oder so. Historische Literatur, kulturwissenschaftlich, einfach dass man das in den Kontext stellen kann. Es ist immer wichtig zu wissen glaube ich, warum hat ein Mensch was geschrieben, warum hat ein Mensch diese und jene Geschichte erzählt und warum bin ich als Mensch heute daran interessiert das zu lesen, was gibt mir das, warum tue ich das eigentlich unbewusst? Es spielen ja viele Faktoren mit hinein.

Auch popkulturelle Artefakte wie Filme oder Alben sind ja auch historische Zeugnisse, geprägt von der Zeit in der sie entstanden sind, teilweise auch nur ganz banale technische Aspekte, aber auch inhaltlich. Zu einem gewissen Grad spiegeln sie die Zeit und formen diese auch mit. Ganz offensichtlich ist es ja bei eurem letzten Album gewesen, „Vanitas Vanitatvm“, da hast du auch in Interviews öfters darüber gesprochen, die Vanitas Gedichte von Gryphius, dass das Vanitas-Motiv auch auf die heutige Zeit passt, es gibt durchaus Parallelen zwischen dem Barock und jetzt, mit der ganzen eitlen Oberflächlichkeit. Wenn du auf deine ganzen bisherigen Alben zurückblickst, wie würdest du sie rückblickend auswerten oder deuten als zeithistorische Quellen?
Überlegen wir mal... Wenn ich sie jetzt in den Kontext setze der Zeit in der sie entstanden sind, es gibt ja seit den 90ern ein zunehmendes Interesse an historischen Projektionsflächen. Eigentlich ist das eine sehr, sehr deutsche Angelegenheit die es schon lange gibt, also dieses Interesse am Mittelalter hatte man schon im 19. Jahrhundert, also das Mittelalter als Projektionsfläche. Das hat dann so ein bisschen geschlafen, ich glaube gerade durch die Zeit '33-'45 ist es so ein bisschen tabuisiert worden, dass man halt nicht so einfach mehr mit Mittelalter und Germanen beschäftigen kann und das hat sich dann irgendwann gegen Ende des 20. Jahrhunderts wieder aufgeweicht. Da hattest du plötzlich überall Mittelaltermärkte die aus dem Boden sprießen oder meinetwegen auch Fantasy Rollenspiele oder so was. Das ist alles ein größerer Komplex der auf eine Sache hindeutet, nämlich dass der Mensch des späten 20. bzw. frühen 21. Jahrhunderts Projektionsfläche gerne hat, damit er Bedürfnisse erfüllt sieht die seine Realität ihm nicht erfüllen kann. Also quasi eine Realitätsflucht, eine Flucht hin zu etwas Sinnhaften, Vergangenen, Weisen, so in der Art, zu Mystik, zu Zauber. Wir leben in einer entzauberten Welt, in einer durch und durch technisierten Welt, Religion ist auf dem Rückzug. Gleichzeitig kommt Esoterik nach oben, gleichzeitig kommen fantastische Stoffe ganz gewaltig nach oben, viele finden „Game of Thrones“ toll, „Herr der Ringe“ finden sie alle toll, diese Art von zauberhaften Geschichten die mögen sie alle. Und ich glaube, da kann man HELRUNAR als Phänomen gewissermaßen auch einordnen. Nicht weil wir es klischeehaft machen, aber ganz sicher sind wir noch Suchende in den Mythen, Suchende in den Runenbedeutungen, in solchen Zusammenhängen, in historischen Zusammenhängen, auf den letzten Alben dann mehr in der frühen Neuzeit schauen wir welche Wandlungsprozesse gab es da. Heute gibt es ganz ähnliche kulturelle Wandlungsprozesse, da sind irgendwie Parallelen da, also ich glaube da kann man es einordnen. Diese Idee die Vergangenheit als Projektionsfläche zu gebrauchen, als Fluchtpunkt zu gebrauchen, die war dann en vogue Ende des 20. Jahrhunderts und da draufgesetzt haben wir dann versucht eine Form von ernsthafterer Auseinandersetzung mit Mythen, mit Runen u.s.w. da stattfinden zu lassen. Und da kam ganz sicher auch viel eigene Psychologie mit darein, Verarbeitung von eigenen erlebten Dingen. Also viele der frühen HELRUNAR Sachen sind wahnsinnig persönlich, merkt nur keiner, erzähl ich auch keinem, weil es keinen was angeht. Aber da sind sehr, sehr viele persönliche Dinge die verarbeitet wurden.

Glaubst du wirklich, dass Religion auf dem Rückzug ist? Einerseits nehmen zwar Dinge wie Atheismus zu, gerade in Europa, aber es gibt auch Kulturen, unter anderem auch in den USA, wo man gerade so ein bisschen das Gefühl hat, dass Religion wieder forciert wird, z.B. auch fanatisches Christentum.
Ja, das ist richtig. Diese Form von Religionsausübung würde ich in den größeren Kontext setzen des allgemeinen Aufbegehrens gegen diese oberflächlich gewordene, schnelllebig gewordene Moderne. Also genauso wie Leute die heute ganz extrem zu konservativen Ideen greifen und AfD wählen zum Beispiel, das gibt es ja in allen Ländern, oder Trump wählen, oder Leute aus der islamischen Welt die mehr und mehr zum Islamismus tendieren, auch da extreme Positionen beziehen, genauso findet man auch extreme Christen, wie Kreationisten oder so was. Also letzten Endes ist das jetzt nicht unbedingt so was wie ein Zeichen dafür, dass da ein großer Rückschritt zur Religiosität erfolgt, es ist eher eine Gegenbewegung zu einer Welt die man als bedrohlich empfindet, die einen überfordert, die Weltlage heutzutage ist extrem komplex. Man kann die Vorgänge in dieser Welt und was in den Menschen vorgeht nicht einfach so erklären. Da kann auch eine Partei versuchen irgendwelche einfachen Antworten zu finden und die Leute glauben das vielleicht, aber damit haben sie nicht die wahren Antworten gefunden. Es gibt keine einfachen Antworten heutzutage. Wohl aber gibt es Ideologien die vorgeben, einfache Antworten zu haben. In diesem Kontext sehe ich das eher. Wirkliche Spiritualität und Religion macht für mich mehr aus als nur das oberflächliche an- und übernehmen von etwas und das findet dann größtenteils, finde ich, nicht statt. Da findet keine Reflexion statt, da findet keine Suche nach dem Selbst und dem Göttlichen statt. Man meint direkt was gefunden zu haben und da hängt man sich dran, ich kleide mich auf eine bestimmte Art, ich gebe mich auf eine bestimmte Art nach außen hin und dann bin ich auch schon mit dabei, aber damit habe ich den Wesenskern des Dings nicht erfasst. Auch der Materialismus von heute, dieser Neomaterialismus nimmt unheimlich vielen Dingen den Wind aus den Segeln. Also es gab Dinge wie Black Metal, oder diese Mittelaltermarktsszene, die in den 90ern mal mehr waren als nur eine ästhetische, oberflächliche Kunstform. Da waren Ideen mit verbunden, da waren alternative Leben mit verbunden, das ist heute auch alles adaptiert worden vom Markt. Heute wird ganz, ganz viel so dargestellt als ob es das wäre, aber wenn man die Personen die das machen fragt: „Was denkt ihr euch dabei?“, dann sind das ganz platte, oberflächliche Antworten die kommen. Es ist alles ausgehöhlt worden und das ist ein Trend, den haben wir seit 20, 30 Jahren jetzt und der verstärkt sich stetig, auch gefördert durch die neuen Medien, durch soziale Netzwerke, durch diese Form der Selbstdarstellung die da stattfindet und ganz viele Leute wissen da, glaube ich, gar nicht was sie tun. Sie streiten sich dann alle bei Facebook, sie streiten sich und meinen es wäre ein großer Diskurs an dem man teilnehmen müsse, in dem man Position beziehen müsse und merken aber nicht, dass sie eigentlich nur Teil haben an einem gewaltigen Nichts, dass ihre Meinung einen Scheißdreck interessiert. Keinen interessiert deine Meinung, keiner will da irgendwie überzeugt werden von besseren Argumenten, es will jeder nur sich selbst darstellen. Das ist alles worum es da geht, das ist lächerlich und ich beteilige mich daran nicht. Ich like bei Facebook nicht mal Sachen politischer Art oder sozialrelevanter Art die mir gefallen würden, nicht mal die like ich weil ich mich an diesem Scheiß Pseudodiskurs nicht beteiligen will, weil das Blödsinn ist.

Nächstes Jahr sind es zwanzig Jahre seit der Gründung von HELRUNAR. Habt ihr für euer Jubiläum schon was Bestimmtes geplant, wie z.B. ein neues Album oder sonst irgendwas?
Verdammt noch mal! Das haben wir selber schon fast vergessen, dass es zwanzig Jahre her ist, da sollten wir vielleicht was machen. Keine Ahnung. Also wir wollen auf jeden Fall, so haben wir es jetzt geplant, gestern eigentlich erst, anpeilen das wir nächstes Jahr ins Studio gehen um ein neues Album aufzunehmen. Können wir mal schauen, ob wir 2021 dann ein Konzert geben oder eine kleine Tour, spezielles Konzert dafür oder ein Shirt rausbringen, so was könnte man machen, auf jeden Fall. Das wichtige ist erst mal ein neues Album. So langsam fangen die Ideen dafür an zu wachsen und zu reifen, das soll da im Zentrum stehen.

Vielen lieben Dank für das Interview!
Aber gerne!


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