Interview: STEINGRAB - Mahr

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Ich habe insgesamt radikal umgedacht und bin zum Schluss gekommen, dass es eigentlich komplett egal ist, was die anderen denken, weil man den allermeisten eh scheißegal ist.

Ein Black Metal-Schmankerl für die Herbsttage. Nur den Rotwein müsst ihr euch selbst besorgen.

Veröffentlicht am 21.11.2018

Mit "Jahre nach der Pest" feuern STEINGRAB zum zehnjährigen Bandjubiläum ein würdiges Album raus, mit dem man sich näher befassen sollte. Sänger Mahr erläutert im STORMBRINGER-Interview, wie er pechschwarze Melodien mit funkelden Accessoires schmückt, warum Fans in der Vergangenheit längere Veröffentlichungspausen in Kauf nehmen mussten und dass man anderen Menschen eventuell auch mit geiler Musik scheißegal ist.



(Fotocredit: Mitch: Frank, Foto & Film)

Auf Black Metal aus Darmstadt trifft man eher selten. Findet man in dieser „Wissenschaftsstadt“ überhaupt das richtige Feeling für schweren Sound oder ist er weniger ortsgebunden?

Gute Frage; ich denke, gerade auch in und um Darmstadt kann man dieses Feeling finden. Die Stadt hat eine bewegte und dramatische Geschichte, die dem offenen Auge an allen Ecken auffallen kann, gerade die Spuren der Brandnacht vom Ende des letzten Krieges. Am Fuße meiner Heimatstadt steht auch eine recht bekannte Burgruine. Es ist vielleicht aber auch gerade die Lage der Stadt am Rand des Odenwaldes, die sie vielleicht letztlich doch zu einem recht mystischen Ort macht.

Habt ihr mit „Stille“ (Bass, Backing Vocals) nicht auch finnische Verzweigungen im Bandgefüge? Beeinflusst er in irgendeiner Weise den Klang?

Nein, wir sind beide hier aufgewachsen.

Dieses Jahr darf man das zehnjährige STEINGRAB-Bestehen feiern. Hättest du damals gedacht, mit extremer Musik so lange im Geschäft zu bleiben?

Ich weiß nicht, ich habe mir darüber nie Gedanken gemacht; vermutlich hätte ich vor zehn Jahren gesagt, dass ich gar nicht weiß, was ich in zehn Jahren überhaupt mache. Damals wollte ich außerdem noch in die klassische Musik.

Vor zwei Monaten erschien euer neues Album. Hast du „Jahre nach der Pest“ bewusst zum Jubiläum veröffentlicht oder ist das nur ein erfreulicher Zufall?

Beides; ich hatte es mir durchaus vorgenommen, es dieses Jahr herauszubringen, weil ein riesiger Rückstau im Material besteht.  Wie man sieht, ist das Material wieder ziemlich alt, mitunter von 2009.

Dabei kam letztes Jahr erst das schöne „Mystik“-Album raus. Vorher mussten eure Fans mehr Geduld zwischen den Veröffentlichungen aufbringen. Konnten die kurzen Intervalle die Bekanntheit von STEINGRAB erhöhen?

Ich würde sagen, eher nicht. Aktuell zehrt STEINGRAB eher von der Bekanntheit aus der Zeit der Veröffentlichung von "Äon". Mit Promotion tun wir uns leider auch ein bischen schwer, sind aber stets bemüht, naja.

Auf Festivals durfte man euch 2018 auch wieder live erleben. Ich würde mal behaupten, dass ihr zu den aktiveren Underground-Black-Metal-Bands zählt, wenn man bedenkt, dass mit Bandcamp allgemein die Zahl der Album-Releases gestiegen ist, deren Urheber anonym bleiben und öffentliche Veranstaltungen meiden.

Ja, allerdings noch nicht so aktiv, wie wir es uns wünschen würden. Die Festivals waren die ersten Konzerte nach langer Pause, und wir hatten davor keinen Live-Drummer mehr. Für 2018 kamen dann die Angebote rein und wir mussten rasch eine Lösung finden. Das ging einher mit dem Glücksgriff, Simon Ludwig (KLAMM, HANDS THAT LIFT THE OCEANS) ins Live-Lineup zu bekommen. Ich würde behaupten, er ist der professionellste Drummer, den ich bisher hatte, und auch menschlich ein großer Gewinn. Ohne ihn hätten wir es nicht geschafft, er hat sich quasi in drei Monaten das gesamte Material in den Kopf geprügelt; ich kann ihm nicht genug dafür danken.

Du tourst mit Session-Musikern, aber diese sind nicht am Songwriting beteiligt. Ist es organisatorischen Hürden geschuldet, dass du allein an STEINGRAB-Material arbeitest oder würdest du es nicht ertragen, wenn jemand versuchte, seine Ideen einbringen?

Das ist in der Tat organisatorischen Hürden und der Arbeitsweise geschuldet. Ehrlich gesagt habe ich deswegen immer ein schlechtes Gewissen, kann alleine aber viel schneller und effektiver arbeiten und habe meistens eine recht genaue (wenn auch nicht bewusste) Vorstellung davon, wie es zu klingen hat, wenn ich es dann höre.
Das Problem bei kreativer Teilhabe an STEINGRAB ist letztlich eben auch, dass meine Mitmusiker tendenziell immer im Schatten meines Songwritings stehen würden, was mir nicht fair erscheint. Es wäre irgendwie eine halbe Sache, das abzuändern, ein fauler Kompromiss, mit dem wir weder rasch vorankommen, noch alle Seiten glücklich werden würden. Andererseits ist Simon ja immerhin in einigen Projekten involviert, zu einem großen Teil auch federführend, weshalb es in dieser Hinsicht okay ist. Am kommenden Album wird auch zumindest eine eigene Note durch das Einspielen und die damit einhergehende Interpretation des Schlagzeugs von Simon erkennbar sein; ich bin bester Dinge, dass das dieses Album potenziell bereichern wird, selbst wenn es auf den ersten Blick nur Details sind – aber diese machen letztlich die Würze dieses Instrumentes aus, und es ist immer etwas anderes, wenn ein Profi es einspielt, der ich am Schlagzeug wirklich nicht bin.

Auch auf vorangegangenen STEINGRAB-Alben erklingt dann und wann ein ungewöhnlicher Ton, aber im Gesamten sind sie rauer und kälter. „Jahre nach der Pest“ hingegen klingt einerseits bleierner, trumpft auf der anderen Seite mit dezent gesetzten bizarren Untertönen auf. Was hat diese extreme Weiterentwicklung ausgelöst?

Das ist vor dem Eindruck der letzten Jahre so entstanden. Es blieb für mich zu konstatieren: man kann alles richtig machen und trotzdem verlieren. Ich habe insgesamt radikal umgedacht und bin zum Schluss gekommen, dass es eigentlich komplett egal ist, was die anderen denken, weil man den allermeisten eh scheißegal ist. Solange das, was man tut, mit dem Bauchgefühl d'accord geht und dem eigenen Weg entspricht, ist alles im Lot. Die Meinung der anderen ist auf bestimmten Ebenen irgendwo wichtig, vor diesem Leitwert aber zweitrangig. Am Ende können alle dasselbe sagen und trotzdem allesamt falsch damit liegen.
Aus dieser gedanklichen Ebene resultierte letztlich wohl auch die musikalische: technisch habe ich nun zum ersten Mal ernsthaft aus dem geschöpft, was ich eigentlich gelernt habe, und das ist das Klavier. Die anderen Instrumente habe ich (bis auf eine kurze Episode Bassunterricht) nie gelernt und mir selbst beigebracht, wobei mir immerhin Grundlagen der Gitarre von Tur (MOROK / Microcosmos Studio) beigebracht wurden. Es ist daher für mich eher erstaunlich, dass ich so lange nicht darauf zurückgegriffen habe, lässt sich aber wohl am ehesten mit dem jeweiligen Status in meinem Leben erklären.

Lieder wie „Das trübe Glas“, das in seiner Kürze und Beschaffenheit der Melodie einer Spieluhr gleicht, kann man einfach auf sich einwirken lassen. An anderer Stelle lohnt es sich, ein wenig Konzentration aufzubringen, um nicht Komponenten des dichten Soundgewands zu überhören. Welches Konzept hast du verfolgt?

Die Zwischenstücke kann man durchaus als kleine Inseln betrachten. Ehrlich gesagt habe ich dabei aber kein festes Konzept verfolgt, sie haben sich eher von selbst in das Album hineingestreut. Meistens ist es so, dass die Sachen so kommen, wie sie eben kommen, ich habe darauf gedanklich weniger Einfluss, als dass es einfach so passiert.

Deine Lyrics weisen oft eine melancholische Färbung auf, wirken stellenweise fast düsterromantisch, als ob du mit kriegerisch anmutender Rhetorik unaufmerksame Zuhörer auf die falsche Fährte locken möchtest, so dass sie einen Hauch von „Schlacht“ heraushören. Der Song „Dämon“ enthält diesen besonders schönen Vers: „Ja, ich hatte Zeit genug deinen Greueln zuzuseh'n an diesen Orten, in Stein gehauener, kalter Anonymität.“
Wolltest du auf diese Weise möglichst viele Subgenres streifen?

Nein, eigentlich kann ich auch bei den Texten bis zur Endversion vorher nicht sehen, was dabei herauskommen wird. Die besten Texte brechen – wie die besten Stücke – eher einfach so aus einem heraus.

Du kannst zusätzlich zu deiner eigenen Kehle auch auf die von deinem Bassisten „Stille“ zurückgreifen, aber traditionell sind auch diesmal wieder recht viele atmosphärisch dichte Instrumentals enthalten. Wieso setzt du Vocals so sparsam ein?

Die Vocals sind in einer ziemlich turbulenten Zeit aufgenommen worden. Es gab damals wenig Zeit und das Live-Lineup war auseinandergebrochen. Ich habe es dann eben schnell selbst fertig gemacht, und die besten Ergebnisse kommen ohnehin irgendwie immer spontan zustande. Die Hälfte der Texte habe ich noch in der Gesangskabine vom Microcosmos Studio verworfen und neu geschrieben.

Worauf können sich STEINGRAB-Fans in Zukunft freuen?

Auf interessante Überraschungen, würde ich sagen!

Vielen Dank für das kurzweilige Gespräch! STORMBRINGER bleibt dir weiterhin auf den Fersen!
 


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