Interview: GHOST - Tobias Forge

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Alles was wir bis jetzt getan habe, fühlt sich manchmal wie ein Fehler an - wie eine B-Version von dem, was ich in meinem Kopf hatte.

Anläßlich der Veröffentlichung von "Prequelle" lud uns der GHOST-Mastermind zum großen Interview nach Berlin ein.

Veröffentlicht am 02.07.2018

Tatort Berlin. Donnerstag, 7. Juni. Ortszeit: 13:30 Uhr, ein junger (hüstel, hüstel) Stormbringer-Redakteur sitzt vor einem Hotel der gehobenen Preisklasse und trinkt nach vier Stunden Schlaf seinen ca. achten Kaffee schwarz und ist leicht nervös.

Das aus mehreren Gründen:
1. Ich schätze GHOST sehr. Seit Jahren finde ich die Band nicht nur wegen ihrer Musik, sondern auch wegen ihren Live-Shows und dem ganzen Drumherum genial. Was ist, wenn Tobias Forge ein unguter Zeitgenosse ist? Ein Ungustl?
2. Durch meine „normale“ Arbeit habe ich seit etlichen Monaten kein Wort Englisch mehr gesprochen – wird das Interview durch die Sprachbarriere ein Fiasko?
3. Sind meine Fragen eh interessant, oder wird Hr. Forge beim Interview einschlafen, da er solche Fragen schon 666x beantwortet hat?
4. Wird das Interview überhaupt stattfinden – mir sind zwar 20 Minuten zugesichert worden, doch ist GHOST die Band der Stunde und dauernd kommen irgendwelche „wichtigen“ Magazine, sowie Radio- und TV-Stationen.
5. Es ist das erste Interview von mir mit einer wirklich großen Band.

Endlich, der deutsche Promoter kommt und bringt mich zum Interview-Zimmer. Ich warte und denke mir "Alter, du hast schon so viele unsichere Sachen durchgestanden. Du schaffst das...". Der Promoter bringt mich in ein größeres Zimmer und siehe da – Tobias Forge ist unglaublich freundlich, bietet mir etwas zu trinken an und räumt auch seinen Platz freiwillig, damit ich beide Aufnahmegeräte an den Strom hängen kann (ich verlasse mich nie wieder auf Batterien!).

So wie er da sitzt hätte ich mir den Mastermind nie vorgestellt. Ich kannte zwar Fotos aus dem Internet, doch habe ich ihn noch nie ohne Maske sprechen gehört oder gesehen.

Er sieht viel jünger aus, als er laut Infos ist und kommt mir sehr straight und diszipliniert vor. Ab und zu kommt aber der Lausbub aus ihm heraus.

 

Zuerst einmal muss ich zum neuen Album gratulieren. Es ist wirklich ein Meisterwerk geworden.

Danke schön!

Es scheint, als ob euch diese Veröffentlichung auf das nächste Erfolgs-Level bringen wird. Man kann es in den Social-Media Kanälen beobachten, wie immer mehr Leute auf euch reagieren, die Tour in den USA läuft sehr gut und die Medien überschlagen sich mit hymnischen Kritiken zum neuen Album. Ebenso habt ihr jetzt acht Musiker auf der Bühne und könnt alles wirklich live spielen.  Es läuft also für euch.

95% sind jetzt live! Bis auf die Intros und Outros. Es fühlt sich sehr organisch an, was eine enorme Steigerung zu früher ist. Ich wollte es immer schon so haben, aber, du weißt, manchmal fehlen einfach die Möglichkeiten für genug „Manpower“ bzw. „Womanpower“.

Also bist du im Moment sehr glücklich mit der Situation?

Sehr glücklich mit DER Situation? Ja, und im Moment auch sehr zufrieden.

Wir haben die Tour ja erst angefangen, viele Dinge „upgraded“, die Show ist besser als je zuvor, aber es ist immer noch ein Arbeitsprozess.

Die Tour in den USA ist technisch gesehen eine „warm up“-Tour. Zwischen jetzt und dem Konzert in Österreich im …. (sorry, darf noch nicht verraten werden) wird noch ein Haufen verbessert. Leute, die das Interview lesen, wissen noch nicht, was alles noch passieren wird. Es ist noch alles in meinem Kopf. Also dort, wo immer alles beginnt, doch ich bin, ehrlich gesagt, nie ganz zufrieden. Alles was wir bis jetzt getan habe, fühlt sich manchmal wie ein Fehler an – wie eine B-Version von dem, was ich in meinem Kopf hatte.

Angeblich spielst Du die meisten Instrumente auf den Alben selbst.

Wenn ich einen Song schreibe, schreibe ich auch alle Instrumente. Ich schreibe z.b. nicht nur den Gitarren-Part und lasse dann einen Schlagzeuger kommen, der seinen Part eintrommelt, wie er glaubt, dass es für den Song gut ist. Ich schreibe alles.

ABER ich kann zum Besipiel kein Saxophon spielen. Ich kann die Melodie summen – ich kann das Sax-Solo summen, aber ich brauche jemanden, der es spielen kann. Ich habe auch schon Songs am Piano komponiert, ich spiele ein wenig Piano, aber es ist besser ich komponiere und jemand kommt dann ins Studio, der wirklich gut Piano spielen kann.

Also hast du die komplette Musik in deinem Kopf und sagst den Leuten, wie sie ihren Part zu spielen haben?

So ähnlich, der Piano-Spieler auf dem Album ist beispielsweise ein Wunderknabe. Der Song ist geschrieben  - z.B. „pro memoria“ - ich spiele ihm das Demo vor, wie sein Part klingen soll und er veredelt es.

Es ist so wie bei einem Dialogschreiber in einem Film – ich schreibe, was der Schauspieler sagen soll, was ich ausdrücken will – ein mieser Schauspieler macht einen ganz schlechten Dialog draus, ein guter Schauspieler etwas Wundervolles.

Wenn Du etwa die Gitarre für meine Musik einspielen würdest – ich kann Dir genau sagen, wie du es einspielen sollst und entscheide, ob es passt oder nicht, da ich die Gitarre ja selber auch spielen kann. Beim Piano nicht – das ist der große Unterschied. Darum habe ich auf dem neuen Album auch alle Gitarren-Part und Bass-Parts eingespielt, da ich die Parts genauso wollte, wie es mir vorschwebte.

Du hast also das komplette Album schon im Kopf, bevor du ins Studio gehst. Wenn Du aber im Studio bist, wird da noch viel verändert?

Es ist wie bei einem Film…. (denkt nach)…. Viele Regisseure drehen eine Szene und wenn sie sie ansehen, denken sie oft „OK, Ich sollte da und dort noch etwas verändern“. Und so arbeite ich, wenn ich die Pre-Production und die Recordings aufnehme. Wenn mir etwas nicht nicht so sehr gefällt, ändere ich es. Es ist nichts getan, bis es getan ist.

Ihr habt bei der US-Tour schon einige neue Songs vom neuen Album gespielt. Die Leute kannten die Songs ja noch nicht. Wie waren die Reaktionen beispielsweise beim Saxophon-Solo? War es eher so „Hey, grossartig“ oder ein „was zur Hölle soll das sein?“

Generell gesehen würde ich sagen, dass es einer der Höhepunkte war.

Ich erinnere mich, wie ich das Album zum ersten Mal im Fitnessraum beim Training gehört habe und als das Sax-Solo kam und ich wirklich jubelte. Es war ein richtiger „Wow“-Effekt.  Es war auch ein Niederbrechen von Mauern, die die Metal-Polizei aufstellt „Du kannst das nicht, und das auch nicht“ – ein grosses „Fuck 'em all – dieser Part passt perfekt in den Song.“

Es ist unglaublich, was man mit einem Saxophon anstellen kann (lacht)

Regeln sind dazu da, gebrochen zu werden. Das ist doch Rock n Roll! Es ist doch lustig, wie puristisch die Metal-Community doch manchmal ist. Nicht alle sind so, aber einige führen sich auf, wie frustrierte alte Männer. Leute, die sagen „so ist es und nicht anders!“

Es ist doch wie bei den Maurern. Der Chef sagt „So und so gehört die Wand verputzt. Und auf keinen Fall anders.“ Schau, ich kann die Wand mit einem grossen Haufen Scheisse verputzen. Es schaut vielleicht nicht so gut aus, aber die Wand ist verputzt.

Es ist doch lustig, wie Rock n Roll mit allen seinen Kategorien, Heavy Metal, Speed Metal, Thrash, was auch immer – hatte doch immer was mit Rebellion zu tun, mit ausbrechen aus dem status quo. Das ist Rock n Roll.

Lustig wie ein Sax-Solo ein revolutionäres Ding sein kann. Es macht doch den Song richtig gut und es ist wirklich einer der besten Momente bei unseren Live-Shows.

Ihr bekommt also die besten Reaktionen bei diesem Teil der Show?

Dieser Teil bringt alle zum lächeln, zum jubeln, zum klatschen. Das ist der Punkt.

Ich wusste, dass die A-Seite auf dem Album sehr heavy wird und sie brauchte einen Moment, wo die Leute auflachen und einmal ausatmen können.

Und dann legen sie die B-Seite auf – „ wo sind wir?“ – und dann kommt „dance maccabre“. Der Sax-Part ist ein reinigender Part.

Magst Du Shushi?

Manchmal

Es ist derselbe Effekt, wie wenn Du beim Shushi-Essen dazwischen Ingwer isst. Er reinigt die Geschmacksnerven. Du fühlst Dich wieder frisch.

Als du mit GHOST gestartet bis, hattest du eine konkrete Vison, einen Masterplan, wie alles laufen sollte, oder passierte vieles durch Zufall?

Beides - es ist, wie ein Album zu schreiben. Du kannst nicht planen – Du kannst nicht jedes Detail planen. Ich denke, dass es einer meinen Stärken als Band-Leader oder Direktor des Ganzen ist, dass ich mit dem arbeiten kann, was ich habe, was ich bekomme.

Ich kann alles zu meinem Vorteil benutzen.Die Situation jetzt…. Ich konnte mir sowas vor zehn Jahren nicht vorstellen.

Wenn ich jemanden von meinen Plänen erzählt hätte, zum Beispiel mit METALLICA befreundet zu sein, hätten mich die Leute wie einen Idioten angestarrt. Weisst Du, es sind viele Dinge passiert….

Zum Beispiel… Über die Jahre habe ich etliche Bands kennengelernt. Und ich hatte immer die klare Agenda…. (er stockt) Du kennst doch „the devils blood“. Selim und ich waren Freunde (er wirkt jetzt sehr ernst und bedrückt). 2010 waren sie noch aktiv und gerade bei ihrem Aufstieg – und wir waren auch gerade bei dieser Welle dabei. Selim war auf seine Art manchmal sehr, sehr strikt – „ich will das so, ich will das so….“

Ich bin auch sehr strikt in meinem Leben – aber da war ein klarer Unterschied zwischen Selim und mir. Ich sagte immer „wir wollen nur bei Dunkelheit spielen“. In meinen Vorstellungen, in meinem Kopf spielen GHOST immer nur im Dunkeln. Nur! Und ich glaube immer noch daran.

Aber der einzige Weg um dorthin zu kommen, ist, dass wir anfangs bereit sind, bei Tageslist aufzutreten. Und da stritten und diskutierten wir immer „ihr solltet nicht bei Festivals am Tag auftreten. Es ist ein sell-out von euch…..“

Ich war aber der Meinung „wenn wir nicht bereit sind, am Nachmittag bei Festivals zu spielen, werden wir nie im Dunkeln spielen. „Wir werden nie Wacken headlinen, oder Nova Rock.“ Du MUSST zuerst im Hellen spielen, um dorthin zu kommen. Es ist wie Gravitation.

Es war ein kleiner Umweg meines Original-Plans, nur im Dunkeln zu spielen. Aber man muss sowas akzeptieren. Wie ein General auf dem Schlachtfeld.  Du kannst nicht jeden Teil einer Schlacht planen, du richtest deinen Schritt nach dem, was dein Gegner macht. Siehst Du meinen Punkt?

Das ist Führungskraft. Das ist Strategie, dass Du fähig bist, deine Pläne, je nach Situation zu ändern. Aber Du bleibst oder bist auf deinem geplanten Weg. Ja, immer noch auf MEINEM Weg. Wie „ich will mein Land so gross, oder soooo gross und wenn ich für den Anfang nur einen Hügel erobere – Fein“

DAS war der grosse Unterschied zwischen Selim und mir. Und ich glaube, viele Leute denken ähnlich.

Ich bin NIE von meinem Weg abgekommen.

Das ist etwas sehr Wichtiges. School of Rock.

Letzte Frage: Wenn Du Abends Deinen Kindern Märchen vorliest und da kommt das böse Monster, das die schöne Prinzessin entführt, wird da bei dir zuhause gejubelt und getobt und wenn dann der schöne, strahlende Held auftaucht und die Prinzessin befreit und das Monster tötet – wird dann „Buh“ geschrien?

(lacht) Nein, nein. Bei uns geht es normal zu. Sie buhen nicht wenn der Held gewinnt. Ich z.b. hasse „Omen III“. Das Ende ist fürchterlich.

Drei Filme lang zeigten sie, dass der Teufel der Gewinner sein sollte und dann kommt Gottes Hand runter und macht dem Bösen ein Ende. WAAASSS???? Was für ein verdammter Witz!

Es ist… (lacht wieder) Wir jubeln und buhen an denselben Stellen wie „normale“ Leute in der westlichen Zivilisation.

Wir danken für das Interview

Am Abend dann ist ein Akkustik-Session von GHOST mit anschließender Autogramm-Stunde geplant nur leider kann die nicht stattfinden, da sämtliche Utensilien in Paris hängen geblieben sind.

Meister Forge will den Abend aber retten und stellt sich UNMASKIERT auf die Bühne und beantwortet geduldig und mit viel Humor die Fragen des Moderators und der Fans.

Anschließend lässt er noch SÄMTLICHE Fans in seine Garderobe und gibt Autogramme.

Alle Daumen hoch für diese Aktion.

Mögen GHOST noch so gross sein und Hr. Forge angeblich ein Egomane – an diesem Tag war davon absolut nichts zu bemerken und ich persönlich fand diese Aktion mehr als grandios.


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