Interview: FERNDAL - Lestaya, Sorathiel, Albarus

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....man hat keinen Anspruch auf Seelenverwandtschaft innerhalb der Szene. Versteht man Authentizität als Konsequenz, ist Nationalsozialismus nicht konsequent misanthropisch, da er ja selektiert, ein menschliches Ideal hat und einige Menschen überhöht. Ich denke mal, jeder konsequent misanthropische Mensch ist zumindest sterilisiert…

Seit ein Arbeitskollege eurem bescheidenen Redakteur auf dem Weg zum Vorgesetzten den Rat gab: "Daniel! Du musst diese Knochen ausquetschen!" und dabei gestikulierte, als würde er ein nasses Tuch auswringen, hat Stormbringer eine äußerst wirksame Verhörmethode in petto. FERNDAL halten aber stand!

Veröffentlicht am 29.09.2017

Black Metal-Künstler, die dem Leben als Eremit nichts abgewinnen können, werden auch in Zukunft nicht drumherum kommen, sich kritischen Fragen zu stellen – fühlen sich doch viele Anhänger des Genres einer Ideologie verpflichtet, die sich nicht als Provokation durch Kunst versteht, sondern in der Vergangenheit einen Aktionismus verlangte, der mit dem geltenden Gesetz nicht immer vereinbar war. Während man in ebendiesen Kreisen oft bloß verlauten lässt, dass man von der Öffentlichkeit ohnehin häufig missverstanden wird, ist man Stellungnahmen gegenüber nicht besonders aufgeschlossen. Sicherlich ist auch von Bedeutung, welchem Subgenre des Oberbegriffes "Black Metal" man folgt, doch insgeheim will man als Konsument und Fan "to figure out what the hell is going on!" (Um es mit Donald Trumps Worten zu sagen)


In Münster regnet es oder es läuten die Glocken wie beeinflusst das den schwarzmetallischen Sound?

Lestaya: Schwer zu sagen, wir haben noch nie Musik woanders geschrieben – ob dann spaßige Saufmusik dabei herauskommt? Vielleicht einen Versuch wert…

Euer selbstbetiteltes Debütalbum ist frisch erschienen. Für das Coverartwork konntet ihr Norax von der ebenfalls ungewöhnlichen spanischen Black Metal-Band LUX DIVINA gewinnen. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?

Lestaya: Norax hat bereits unser Logo entworfen und gezeichnet, mit der Arbeit waren wir mehr als zufrieden, außerdem ist seine Band LUX DIVINA ebenfalls bei Einheit Produktionen unter Vertrag. Den Kontakt hergestellt hat Alboin, der Norax über gemeinsame Gigs persönlich kennt. Norax hat es geschafft, sowohl größtenteils das umzusetzen, was wir für das Artwork als Idee hatten, das auch eng mit der Musik und den Texten verknüpft ist, als auch seinen ganz eigenen Stil einzubringen und es dadurch sehr authentisch zu gestalten.

Die Pressefotos der Band deuten nicht unbedingt darauf hin, dass ihr härtere Musik macht. Gab es Diskussionen innerhalb der Band deswegen? Gab es Alternativen zu den herbstlichen Motiven?

Lestaya: Es gab Diskussionen, natürlich, alleine schon, um eine Vorstellung zu entwickeln. Klar war, dass wir keine klischeehaften Black Metal-Bilder machen werden, das würde nicht passen. Überhaupt alle arg gestellten Bilder würden weder zu uns noch zu unserer Musik passen, wir wollten die Bilder sehr gradlinig ohne viel Drumherum, ohne Verkleidung haben, sehr puristisch. Dass gerade in dem Moment das Licht so unglaublich schön und eindrucksvoll war, war einfach Glück. Das hat die Stimmung erzeugt, die man auf den Bildern auch sieht: Ernst, direkt und reduziert auf das Wesentliche.

Da Albumtitel und Bandname gleich sind, habe ich mir den gleichnamigen Song genauer angeschaut. Im Text ist von "Präinkarnationen" die Rede, was als philosophische und religiöse Vorstellung von Existenz vor einer Manifestation bezeichnet werden könnte. Eure Lyrics wirken, als würdet ihr eher die Bedeutung der Theosophie für den Menschen kritisieren, als ihren Wahrheitsgehalt anzuzweifeln.

Sorathiel: Zunächst einmal vertritt die Band keinen bestimmten religiösen Ansatz. Wir haben auch sicher untereinander nicht die gleichen Vorstellungen. In unseren Texten geht es um Dinge, die im Innern des Menschen ablaufen. Um Beobachtungen des Denkens, Fühlens und Strebens. Dabei ist es manchmal hilfreich, auf bestimmte Bilder zurückzugreifen, die sich auf die geistige Ebene übertragen lassen. In dem Song „In die Freiheit“ geht es zum Beispiel nicht primär um eine missglückte Schifffahrt – das ist eine Metapher für etwas viel weniger Profanes. So ähnlich ist das, wenn in „Ferndal“ in einem Bild ein religiös vorgeprägter Begriff benutzt wird. Die Idee dahinter ist nicht von einer bestimmten spirituellen Vorstellung abhängig, sondern philosophisch. Der Reinkarnationsgedanke ist doch außerdem ein allgemeines Prinzip, das in verschiedenen Religionen und philosophischen Weltbildern (z.B. Friedrich Nietzsche, Arthur Schopenhauer) vorkommt und nicht ausschließlich auf theosophische Lehren beschränkt ist. In dem Sinne bedeutet der Songtext keine direkte Auseinandersetzung mit der Theosophie. Übrigens können wir auch anders: Der Text von „Ungelebtes Leben“ etwa sagt klar heraus, was er meint und hat kaum Bildsprache.

Atheismus dient vielen Menschen als zuverlässige Navigation in einer komplexen Welt. Wie unterscheiden sich belesene Atheisten, die in Schriften und im Alltag keine göttlichen Zeichen entdecken können, von Opfern technischen Fortschrittes, die trotz ununterbrochener Internetnutzung keinen Kontakt zu existenziellen Fragen herstellen können?

Lestaya: Die einen haben eine mündige Entscheidung getroffen, die es zu respektieren gilt, die anderen sind in ihren Ansichten so ernst zu nehmen wie ein Kind: Ihnen fehlt die Möglichkeit, es besser zu wissen, trotzdem kann man darauf nichts geben.
Ob Atheismus eine Navigationshilfe sein kann, wage ich zu bezweifeln, üblicherweise tendieren gerade Menschen, die auf von außen kommende Navigationshilfen angewiesen sind, zu Religion im herkömmlichen Sinne. Atheismus wirft ganz auf sich selbst zurück bzw. auf vernunftbasierte Verhaltensnormen/Philosophien anderer Menschen, für oder gegen die man sich dann entscheiden kann. Wenn Atheismus eine Idee ist, an der das Weltbild aufgehängt wird, dann unterscheidet er sich nicht von einem Glauben, in beiden Fällen wird all das, was an Input reinkommt, der Idee Atheismus oder ein oder mehrere Götter angepasst, anstatt anders herum zu beobachten und daraus ein Weltbild zu kreieren. Würden die Menschen lernen, die Welt zu betrachten wie ein Naturwissenschaftler seine Versuche, unbefangen und rein beobachtend, und andere Menschen in ihren Erkenntnissen in Frieden lassen, wären eine Menge Probleme gelöst, selbst wenn man nicht zum gleichen Ergebnis kommt.

Religion hingegen bietet ein breites Themenspektrum. Wie kommt es eurer Meinung nach, dass sich in religiösem Extremismus so viel Gewalt offenbart, obwohl Religion reichhaltig an Regeln und Aufgaben ist und zeitaufwendig im Studium?

Lestaya: Ich glaube kaum, dass die Religion der Grund ist für Gewalt – sie bietet bloß einen netten Rahmen dafür. Der Grund für Gewalt liegt in Frust, Verletzungen, Not, Angst… wenn dann jemand kommt und eine Erklärung und gleichzeitig auch noch eine Lösung für diese Hintergründe bietet, wunderbar! Das Schöne an der Religion ist doch, dass man sie auslegen kann oder wenn man eben bequem ist von anderen auslegen lassen kann. Es ist ja nun keinesfalls so, dass die religiösen Fanatiker ernsthaft Religionen studieren, im Sinne von Lernen wollen, sondern maximal im Sinne von Bestätigung suchen für das, wovon sie sowieso überzeugt sind.

Passagen mit klarem Gesang, zwischen den Growls, klingen manchmal spirituell, besonders wenn zwischendurch ein klassisches Instrument angestimmt wird. Was ist eure Definition von Black Metal, da ihr euch diesem Genre zugehörig fühlt?

Sorathiel: Du beziehst dich mit dem „spirituellen“ Eindruck wahrscheinlich auf Passagen wie den Mittelteil in „Ungelebtes Leben“. In diesen Passagen nutzen wir, was die Instrumentierung und der Gesang hergeben, um eine bestimmte Stimmung zu transportieren, das ist richtig. In „Ungelebtes Leben“ etwa lässt sich die geistliche Assoziation auch dadurch erklären, dass die Orgel traditionell ein Kircheninstrument ist und sich der langsame cleane Gesang leicht gregorianisch anhört. Die kontemplative Stimmung in diesen Passagen ist eben, was der Song emotional an diesen Stellen ausdrücken will. Wie du schon sagst, wechseln sie sich mit anderen Passagen ab, die andere Stimmungen haben. Das ist etwas, das wir aus der „klassischen“ Musik in unser Songwriting übernommen haben. Man könnte uns auch als „klassisch inspirierten Athmospheric Melodic Black Metal“ bezeichnen, aber wer will das schon lesen, geschweige denn jedes Mal aussprechen…?

Misanthropie ist von Beginn an ein wichtiger Stützpfeiler des Genres. Was ist authentischer? NSBM, der Judentum und Christentum gleichstellt und Anhänger beider Glaubensrichtungen in den Ofen schieben möchte, oder variationsreicher, philosophischerer Black Metal, der den Menschenhass nicht in den Vordergrund stellt bzw. anders definiert?

Lestaya: Beides: NSBM ist wahnsinnig authentisch als Musikrichtung einer Horde Vollidioten, die andere Menschen aus irgendeinem Grund doof finden, weil sie versuchen, eine Ordnung in ihr Weltbild zu bringen, um nicht ganz so viel denken zu müssen. Black Metal ist ja nun in erster Linie mal eine Musikrichtung, und wie jeder früher oder später in der Szene feststellen musste, sind nicht alle Menschen, die dem Black Metal etwas abgewinnen können, einer Meinung. Sprich, man hat keinen Anspruch auf Seelenverwandtschaft innerhalb der Szene. Versteht man Authentizität als Konsequenz, ist Nationalsozialismus nicht konsequent misanthropisch, da er ja selektiert, ein menschliches Ideal hat und einige Menschen überhöht. Ich denke mal, jeder konsequent misanthropische Mensch ist zumindest sterilisiert…
Authentisch bedeutet doch eher, dass Musiker in ihrer Musik einen Teil ihrer selbst bereit sind zu zeigen, und da die Menschen sehr unterschiedlich denken, kann sehr unterschiedliche Musik authentisch sein. Zumal jeder selbst entscheiden kann, welchen Teil er in welcher Musik zeigt, jemand kann sehr authentischen Black Metal machen und in einem anderen Projekt sehr authentische andere Musik.

Norwegischer Black Metal scheint übergroß zu bleiben. Oft werden mittelmäßige Scheiben aus diesem Herkunftsland selbst von Musikredakteuren überbewertet. Aber die Szene ist in Bewegung und lässt Variationen erkennen. Wann und wie hat eurer Meinung nach deutschsprachiger Black Metal eine eigene Identität entwickelt?

Sorathiel: Wir hätten natürlich auch unsere Texte auf Norwegisch verfassen können, vielleicht hätten wir dann auch die Chance, überbewertet zu werden… Aber die Themen, über die wir texten, sind schwer genug in unserer Muttersprache zu beschreiben. In einer Fremdsprache zu schreiben (ob Norwegisch oder Englisch…) hätte wahrscheinlich dazu geführt, dass etwas von der Bedeutung auf der Strecke bleibt. Dazu kommt, dass es ganz schön peinlich werden kann, wenn man den deutschen Akzent durchhört…

Als Black Metal-Musiker scheint man sich ständig vor der Community für irgendetwas rechtfertigen "zu können". Bei Cover-Songs wollen Fans wissen, ob es nah genug am Original ist. Ihr habt WINDIRs "Arntor, ein Windir" neuinterpretiert. Worin unterscheidet sich eure Version vom Original und warum habt ihr euch entschieden, fremdes Material zu nutzen?

Lestaya: Unsere "Arntor"-Version ist streng genommen kein Cover und keine Interpretation, sondern eine Adaption. Die Instrumentierung, die Harmonien sind völlig anders, stilistisch ist das ein simples klassisches bzw. barockes Werk mit den Melodien von "Arntor". Die Idee dazu entstand nach einer Probe, ob es funktioniert wussten wir da noch nicht – aber das hat es definitiv. Es ist die gleiche Musik in ein anderes Genre transportiert. Unser Konzept ist es, klassische und Black Metal-Elemente zu verbinden. In den Metal-Songs haben wir klassische Elemente drin, die meinetwegen nicht ganz so ins Auge springen, aber "Arntor" ist das Gegenstück: Elemente aus dem Black Metal klassisch verpackt.

Zu oft werden dem Hörer Lückenfüller und uninspiriertes Beiwerk am Ende eines Albums als B-Seite verkauft. Bei euch ist das anders. Mit "Ein später Gast" ertönt ein meisterliches Stück, das trotz schöner Härte dermaßen eingängig ist, dass man glaubt, es vorher schon irgendwo gehört zu haben. Das wird ganz sicher ein Klassiker der Bandgeschichte. Nehmt ihr selbst die Stärke dieses Liedes als solche wahr?

Sorathiel: Es ist total interessant, dass so viele, die mit unserer Musik etwas anfangen können, so unterschiedliche Dinge schätzen und jeder der Songs wurde von verschiedenen Hörern schon als der stärkste des Albums genannt. Wir haben auf das Album ohnehin nur vier Metal-Stücke genommen, obwohl wir noch deutlich mehr Material hatten. „Beiwerk“ hätten wir also gar nicht mit auf die Platte genommen. „Ein später Gast“ unterscheidet sich tatsächlich stilistisch etwas von den anderen Songs. Er ist weniger hart, enthält viel cleanen Gesang und lebt von den schweren Melodien. Wir haben ihn an das Ende des Albums gesetzt, weil es etwas ruhiger ausklingen sollte.

Alboin und Abarus sind bei EIS beschäftigt. Wo sind die Prioritäten gesetzt? Wie malt ihr euch FERNDALs Zukunft aus?

Abarus: Das ist weniger eine Frage von Prioritäten als dessen, was gerade anliegt. Beide Bands haben ihren eigenen Rhythmus. Da ich Black Metal mehr zugetan bin als Zukunftsmusik, bleibt alles Folgende abzuwarten.

Zum Abschluss eine kleine Psychoanalyse: Wenn nur diese beiden Bands zur Wahl stünden, würdet ihr mit CRADLE OF FILTH oder mit VARG auf Tour gehen? Aber Vorsicht, die Antwort könnte euch in vielen Jahren noch verfolgen.

Lestaya: Solange die als Vorband die Backline stellen, sind wir da nicht wählerisch.

Wir bedanken uns für die ehrlichen Antworten und sagen freudig Tschüss, denn ein Abschied bietet die Chance auf ein Wiedersehen! Auf bald also, bei STORMBRINGER  Das "ehrliche" Heavyzine!


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