Interview: Entombed A.D. - L-G Petrov, Olle Dahlstedt, Victor Brandt

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Fiel uns spätnachts noch spontan was ein, konnten wir einfach in Unterhose aufnehmen.

Nach einem nahezu endlosen Namensstreit und Album-VÖ-Verschiebungen ackerten L-G Petrov und Co. nun als ENTOMBED A.D. endlich mit neuem Material durch Europa. Grund genug, uns für den kurzen Wien-Aufenthalt gen Viper Room zu begeben, um mit L-G und seinen sympathischen Spießgesellen über die harte Vergangenheit, die - im wahrsten Sinne des Wortes - glückliche Zukunft und unfreiwillige Mosphits zu quatschen.

Veröffentlicht am 21.10.2014

Viper Room, ca. 18 Uhr. Bevor das schwedische Monster-Death-Metal-Paket bestehend aus ENTOMBED A.D. und GRAVE die Bühne der schlauchförmigen Keller-Location betritt, haben wir mit den Köpfen beider Bands Interviews ausgemacht. Während GRAVEs Ola Lindgren die Diva spielt (mehr zum GRAVE-Interview ab 22.10.2014 HIER), kommt mir der hochsympathische ENTOMBED-A.D.-Fronter L-G Petrov trotz offensichtlich mittelschwerer Grippe gutgelaunt entgegen und gibt mir anstatt der Hand die Ghetto-Fist - man will sich ja nicht anstecken. Schon auf der Suche nach einer geeigneten Ecke zum Quasseln sprudelt der Mittvierziger mit der krankheitsbedingt brüchigen Stimme vor guter Laune über und verliert diese den ganzen Abend nicht. Dass sich noch zwei seiner Bandmember eher zufällig zum Talk gesellen, war so nicht geplant, aber auch nicht sonderlich störend...

L-G, du rennst hier im Backstage-Bereich des Viper Room mit rotzunterlaufener Nase herum und kriegst kaum ein Wort heraus. Wie läuft denn die bisherige Tour abseits der Mördergrippe, die du dir aufgerissen hast?

L-G Petrov: Absolut okay, wir haben sehr viel Spaß und teilen uns auch schön die Arbeit, wenn es darum geht, anpacken zu müssen (lacht). Wenn man sich gegenseitig hilft, geht alles viel schneller. Vor wenigen Tagen hatten wir eine Bombenshow in Budapest, dort herrschte eine Wahnsinnsstimmung. Die Sonntage sind auf dieser Tour unheimlich gut besucht. Was weiß ich warum? Sonntage sind die neuen Samstage.

Mit GRAVE unterwegs zu sein, ist ja wie eine Zusammenführung mit alten Familienmitgliedern.

Petrov: 2006 haben wir mit UNLEASHED, GRAVE und DISMEMBER die große „Masters Of Death“-Tour gespielt, das ist jetzt die halbe Portion davon (lacht).

Euer brandneues Album „Back To The Front“ hätte schon im Herbst 2013 erscheinen sollen, aufgrund der ewigen Streitereien zwischen euch und eurem ex-Mitglied Alex Hellid um den Bandnamen ENTOMBED, hat sich das auf heuer verschoben. Wie viel Kraft hat dir dieser ganze Prozess gekostet?

Petrov: Es war gar kein richtiger Kampf um den Namen. Einer in dieser Runde hat herumgeheult und wir haben uns darauf konzentriert, Musik zu machen. Darum geht es ja im Endeffekt. Wenn mich jemand dafür beschuldigt, dass ich Musik mache und auf Tour gehe, kostet mich das nur ein Lächeln. Wir haben aber natürlich viel Kraft beim Aufnahmeprozess gebraucht und ich denke, die ganze Frustration hört man deutlich heraus. Es war eine harte Zeit, aber Menschen tendieren dazu, zu vergessen. So machen auch wir das und fahren einfach fort. Ich kenne mich bei den rechtlichen Sachen nicht so aus, aber wir sind jedenfalls ENTOMBED A.D.

Was bedeutet das „A.D.“ und aus welchem Grund habt ihr genau diesen Zusatz verwendet?

Petrov: „Anno Domini“, „After Death“ oder „After Dark“ – was weiß ich (lacht). Das hat wirklich keinen besonderen Grund. So wie wir momentan besetzt sind, fühlen wir uns wohl und möchten auch weitermachen.

In unserer Redaktion wurde schon einmal diskutiert, wie viel von einer ursprünglichen Band verändert werden darf, damit sie noch das Recht hat, den Originalnamen zu tragen. Wie siehst du diese Situation?

Petrov: Das kommt auf den Verhandlungstisch an. Es dauert Jahre, bis man sich auf so etwas geeinigt hat. Ich will mich da jetzt auch gar nicht auf eine Richtung festlegen, weil jede Situation anders bemessen wird. Wir denken nicht über so etwas nach, sondern sind froh, wieder auf Tour zu sein. Das machen Bands nun einmal.

Ihr spielt derzeit 38 Shows ohne einen einzigen Day-Off. Dann nach kurzer Pause noch zehn Shows. Wie hält man das unmenschliche Programm durch, ihr seid ja keine 20 mehr?

Petrov: Ich bin nicht einmal mehr 40 (lacht). Wenn du glaubst, wir würden uns speziell darauf vorbereiten, bist du falsch gewickelt. Sachen packen, rein in den Bus und los. Alles andere kannst du ohnehin nicht vorhersehen. Es ist jedes Mal wieder wie ein Abenteuer und wir freuen uns, immer wieder neue Leute kennenzulernen und die alten Witze aufzuwärmen. Wir sitzen jetzt hier, es ist warm und ich habe ein Bier – was will man mehr? Da es mir heute so dreckig geht, sollte ich vielleicht auf diesen seltsamen Sliwowitz zurückgreifen, den ich aus Belgrad mitgenommen habe. Der reinigt deinen Körper komplett durch (lacht).

Beim neuen Album habt ihr ja schon auf alte Songideen zurückgegriffen.

Petrov: Ich denke, vor 2013 haben wir gar nichts geschrieben. Wir waren total konzentriert und fokussiert als plötzlich diese Probleme mit Alex auftraten. Dennoch haben wir das durchgezogen, uns keinen Stress wegen des Veröffentlichungstermins gemacht und haben dann im Studio Borhus gemütliche fünf Wochen gebucht. Wenn uns also spätnachts ein spontaner Einfall kam, konnten wir in der Unterhose aufnehmen, das war schon großartig (lacht).

In diesem Studio hatten schon ABBA aufgenommen. Hast du nicht mal kurz gefürchtet, euch würde eine Pop-Hook auskommen?

Petrov: (lacht) Nein, das denke ich nicht. Es ist doch egal in welchem Studio man aufnimmt, das sollte wirklich keine Rolle spielen. Wir sind mit dem Ergebnis jedenfalls glücklich und langsam beginnen wir wieder damit, neue Riffs zusammenzustellen. Ein bisschen Vorbereitung haben wir schon getroffen und wenn wir nach den langen Touren mal ein bis zwei Monate zuhause sind, sollte schon einiges weitergehen. Es wird keinesfalls wieder sieben Jahre bis zum nächsten Album dauern (lacht).

Ist das nicht mühsam, bei so einer Tour auch noch an neuen Riffs zu basteln?

Petrov: Wie du siehst, haben wir ja untertags verdammt viel Zeit. Wenn ich im Tourbus aufwache steckt mir die Gitarre ja fast schon im Gesicht, da ist es nicht schwer gleich mal was zu spielen. Wir nehmen das ganz billig auf und versuchen dann all die Ideen zuhause zu sortieren.

Eure Fans waren großteils sehr zufrieden mit „Back To The Front“. Hast du dir dieses gute Feedback erwartet?

Petrov: Man weiß ja nie, was man erwarten kann. Jede Meinung ist eine Meinung, völlig egal ob positiv oder negativ. Hauptsache die Leute hören uns und reden darüber. Besser, als wir würden totgeschwiegen.

Man kann schon sagen, dass die Aggressivität des Albums aus dem Frust gegenüber deiner ehemaligen Mitstreiter entstanden ist?

Petrov: Auf jeden Fall, es ist wirklich viel Frustration drauf und das ist ja aufgrund der Story ganz normal. Die Geschichte lässt dich einfach nicht kalt.

(Bassist Victor Brandt bringt L-G eine heiße Tasse Tee, damit der fast Stimmenlose nicht ausschließlich an der Egger-Bierdose nuckelt.)

Petrov: Die Texte sind vielleicht ein bisschen offensichtlich und klischeehaft ausgefallen, aber auch die sind durchaus aggressiv.

Kann man es als Konzeptalbum werten?

Petrov: Victor, das musst du ihm beantworten.
Victor Brandt: Nicht wirklich. Vielleicht ein bisschen, aber eigentlich ging es eher um die Kanalisation unserer Gefühle zu dieser schwierigen Zeit. Es war ein gutes Gefühl, mal die Wut rauslassen zu können.

Das Cover-Artwork ist mal richtig geil ausgefallen. Soll es einen sterbenden Planeten darstellen?

Petrov: Kann gut sein. Als wir Zeichner Zbigniew Bielak engagierten, gaben wir ihm alle Freiheiten. Künstler sind dann am besten, wenn man sie in keinster Weise einschränkt. Wir sagten ihm nur, er solle jedenfalls an ENTOMBED denken. Die erste Rohfassung hat uns schon so gefallen, dass wir zusagten. Die Details kamen erst später.
Brandt: Inspiriert war er zum Beispiel vom „Auge des Todes“. Außerdem war es toll, dass er nicht direkt bei uns war.
Petrov: Keiner mag es, wenn ihm über die Schulter geschaut wird. Weder er, noch wir.

Was ist euch denn am Allerwichtigsten, wenn ihr einen Song schreibt?

Petrov: Ich habe nur ein paar Riffs geschrieben, aber Victor hatte mehr Ideen.
Brandt: Wichtig ist, das zu machen, das wir selber hören möchten. Es muss schon nach schwedischem Death Metal klingen, sonst hätte es keinen Sinn.

Wo ist dann die Grenze erreicht?

(Still, leise und unbemerkt schleicht sich auch noch Drummer Olle Dahlstedt an, um anfangs zuzuhören und dann selbst etwas Senf dazuzugeben.)

Petrov: Wir benutzen quasi alle Ideen, aber natürlich ist irgendwann einmal der Plafond erreicht. Zu einfach und geradlinig sollten die Songs nicht werden.
Brandt: Wir wissen genau, wie ENTOMBED für uns klingen soll, insofern schreiben wir automatisch in die richtige Richtung. Es ist ziemlich schwierig, ein objektives Urteil über die geschriebenen Songs abzugeben, wenn du selber so tief drinsteckst.
Petrov: Es ist, als ob du in einem Tornado aus Ideen festsitzt (lacht). Die Meinungen gehen mit den Ideen nicht immer konform. Manchmal ist das gut, manchmal auch schlecht.
Olle Dahlstedt: Wir bewegen uns alle auf demselben Pfad, das erleichtert die Sache natürlich erheblich.

Ihr seid jetzt alle glücklich mit dem Album und darüber, wieder auf Tour gehen zu können. Fehlt da nicht die nötige Dosis Frustration, um das nächste Album einzuhämmern?

Brandt: Es wird vielleicht ein Happy-Album (lacht). Nein, im Ernst jetzt - das kommende wird sich mehr um Satanismus drehen.
Petrov: Ich denke, es gibt immer einen Weg, den Drive zu finden. Du kannst ja auch problemlos von aggressiver Musik glücklich werden. Wenn ich mir FLESHGOD APOCALYPSE anhöre, wandern meine Mundwinkel unweigerlich nach oben (lacht).
Brandt: Wir können das Leben schon auch genießen und müssen nicht immer in coolen Posen durch die Straßen laufen.

Wenn ich ENTOMBED A.D. höre, soll ich also glücklich sein?

Petrov: Warum nicht? Du siehst es schon am Publikum bei den Konzerten, wenn die Moshpits Oberhand nehmen – es herrscht einfach immer eine gute Energie bei uns. Wenn jemand fällt, dann wird ihm aufgeholfen, damit er wieder in den Krieg ziehen kann.

Wenn du ins Publikum schaust, was hat sich denn zu – sagen wir – 1994 verändert?

Petrov: Natürlich sind sie alle älter (lacht). Ich will hier vorausschicken, dass es einfach großartig ist, dass wir nach 25 Jahren noch immer auf Leute zählen können. Früher gab es jedenfalls keine Moshpits, sondern nur Headbanger.

Startest du auch noch Moshpits, wenn du mal als Fan bei einem Konzert stehst?

Petrov: Nein, die einzige Show, bei der du mich immer vorne sehen wirst, ist eine von KING DIAMOND. Aber auf dieser Tour ist es schon mal passiert, dass wir eher unabsichtlich ins Publikum gestürzt sind. Kann man aber wohl kaum als Moshpit bezeichnen (lacht).

KING DIAMOND ist dein absoluter Gott.

Petrov: Wir haben mit ihm 2005 oder so herum getourt. Ein großartiger Typ, ich kann das gar nicht in Worte fassen. Er hat tatsächlich so eine spezielle Aura. Wenn du ihn siehst, musst du sofort grinsen und bist gut aufgelegt. Er ist keiner dieser abgehobenen, satten Rockstars. Er kommt sofort auf dich zu, grüßt dich und redet ein paar Worte mit dir. Ich muss dann oft stottern (lacht).

Wäre eine Kooperation in einem Song nicht der Hammer für dich?

Petrov: Vielleicht kriegen wir ihn ja für das nächste Album (lacht). So ein paar hohe Stimmen würden dem ENTOMBED-Sound jedenfalls völlig neue, interessante Facetten abringen.

Wie wichtig sind eigentlich eure Heimatstadt Stockholm, die dort herrschende Heavy-Metal-Geschichte und die Protagonisten dieser Szene für euch als Musiker?

Petrov: Gute Frage, als wir „Back To The Front“ geschrieben hatten, hatten wir nicht einmal Zeit für Inspiration.
Brandt: Es wäre aber gelogen, würde uns das ganze Umfeld und die Death-Metal-Geschichte dieser Stadt nicht irgendwie beeinflussen.
Petrov: Die Szene ist natürlich gealtert, aber wir hängen noch immer in den gleichen Bars herum und trinken die gleichen Biersorten.
Brandt: Fred Estby von DISMEMBER hängt überall herum.
Petrov: Es arbeitet noch immer jeder irgendwie im Musiksektor – wenn auch nicht mehr zwingend immer als Musiker auf der Bühne. Und die Kater nach Saufgelagen dauern wesentlich länger.

Wie geht es bei euch nach dieser Monstertour weiter?

Brandt: Da kommt ja schon die nächste. Zumindest ein paar Tage haben wir dazwischen dann frei.
Petrov: Es gibt dann ein paar Einzelshows in Griechenland, Russland oder Israel, auf die freuen wir uns sehr.

Gibt es auf dieser Welt noch ein paar Ecken, die ihr gerne beackern würdet?

Petrov: Vor dieser Tour waren wir in Japan, das war schon ein großes Erlebnis. Wir waren schon in Südafrika oder auch Australien. Dort würde ich gerne wieder hin, weil ich dort auch die freien Tage gut nutze.


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