Interview: Philm - Dave Lombardo, Gary Nestler, Pancho Tomaselli

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Meine Mutter hat ihre Faust erhoben und mir gehuldigt - das war der ultimative Ritterschlag.

Im Zuge ihres leider spärlich besuchten Arena-Gigs in Wien, haben wir uns mit PHILM auf ein kurzes Interview abgesprochen. Nachdem Drummer und ex-SLAYER-Legende Dave Lombardo und ich keinen ruhigen Platz gefunden haben, wurde das Gespräch kurzerhand mit der ganzen Band geführt. Seine Mitstreiter zeigten sich lesbar erfreut, auch einmal etwas beisteuern zu dürfen.

Veröffentlicht am 22.09.2014

Vor kurzem habt ihr euer zweites Album „Fire From The Evening Sun“ auf die Lädentische gewuchtet. Wie seht ihr das Teil kurz nach dem Ende des Aufnahmeprozesses?

Dave Lombardo: Das Album unterscheidet sich erheblich von unserem Debüt, weil die Songs wesentlich verknappt wurden.
Gary Nestler: Das ist auch wirklich gut so.

Warum? Seid ihr mit „Harmonic“, eurem Debütwerk, nachbetrachtet so unzufrieden?

Nestler: Nein, darum geht es gar nicht. Es ist nur so, dass wir das neue Album wie ein neugeborenes Baby betrachten. Die meisten Bands haben ja einen bestimmten und auch nachvollziehbaren Stil, bei dem du die Weiterentwicklung erkennst. Wir entwickelten im Prinzip einfach „Harmonic“ weiter, klingen auf „Fire From The Evening Sun“ dennoch ganz anders. Es ist sehr interessant zu sehen, wo diese Entwicklung hingeführt hat.

Ihr habt schon im Vorfeld gesagt, dass ihr nicht mehr so experimentell zuwege geht.

Pancho Tomaselli: Das ist auch richtig so. Die Songs sind nicht nur verknappt, sondern weisen auch wesentlich einfachere Strukturen auf. Du findest den roten Faden in einem Song einfach viel eher. Wir haben mehr instrumentale Parts eingebaut und sind dem Hörer wohl ein bisschen entgegengekommen. Wenn du Musik erschaffst, brauchst du nicht nur Geduld, sondern auch Verständnis. Viele Formen von Heavy Metal sind nicht allzu schwer zu spielen, wenn du dir aber Bands wie MESHUGGAH ansiehst, dann ist das aber nicht mehr ganz so einfach. Wir haben beim Songwritingprozess einfach bewusst experimentiert, um die Integrität von PHILM zu testen. Wir sind ins Studio gegangen, haben uns zusammengesetzt und stundenlang gejammt. Das wurde dann aufgenommen, von uns angehört und leicht abgeändert. Bei „Harmonic“ sind wir noch stringenter vorgegangen, hier haben wir einfach 45 Minuten gejammt, Soundfragmente daraus verwendet und die Texte dazugeschrieben.

Das klingt doch nach purer Old-School-Attitüde. Soundfiles per E-Mai hin- und her zu versenden scheint nicht gerade euer Hauptantrieb zu sein?

Tomaselli: Du hast es erfasst (lacht). Es läuft bei uns einfach komplett natürlich ab und die beste Musik, wurde auch immer spontan erschaffen. Nur so kannst du etwas komplett Eigenständiges kreieren.

UDR Music als Label sind dabei ein starker Rückhalt. Mit denen hast du, Dave, schon zu GRIP INC.-Zeiten zusammengearbeitet.

Lombardo: Jay von UDR kenne ich schon seit 1985 und er hat PHILM von Anfang an dazu verholfen, den derzeitigen Status zu erlangen. Wir haben eine gute Beziehung, was ganz logisch ist, denn er ist echt ein netter Kerl und wir sind auch sehr umgänglich. Wir haben immer tolle Gespräche und machen hoffentlich noch mehr Musik zusammen. Würde uns jedenfalls freuen.

Habt ihr „Fire From The Evening Sun“ auf einem bestimmten Konzept aufgebaut?

Lombardo: Wir singen gerne über die Unschuld, Brutalität und Blumen (lacht).
Nestler: Wir haben auch thematisch passende, ziemlich verfängliche Fotos auf unseren Smartphones, aber die zeigen wir dir jetzt lieber nicht (lacht). Nein, Spaß beiseite. Wir reden hier natürlich nur Bullshit.
Tomaselli: Das Schreiben der Lyrics spiegelt für mich die avantgardistische Seite der Band wieder. Die Musik weist bei uns mittlerweile weit mehr Punk- und Funk-Zitate auf, aber Garys Texte sind irgendwie immer von etwas Märchenhaftem beseelt. Die Geschichten sind sehr fantasiebezogen und erschaffen Bilder in deinem Kopf. Ich denke nicht, dass dich Songs immer bevormunden müssen, das ist nicht unser Ansatz. Bei PHILM gehen wir eher auf eine fantasievolle Reise, auch weil die Musik so tiefgründig ist und viele Facetten aufweist. Wenn du bei uns schnöde Powerchords suchst, bist du falsch.
Nestler: Es liegt an dir, was du aus den Texten herausliest.

Es gibt zum Beispiel einen Song namens „Fanboy“ auf dem Album. Was hat der denn mit Fantasy zu schaffen?

Nestler: (lacht und klatscht) Verdammte Scheiße, jetzt hast du uns, gratuliere. Die Geschichte dazu erzähle ich dir aber gerne. In London waren wir nach einem Konzert backstage und haben danach drei Leute reingelassen, weil wir eben keine Rockstars sind. Die haben sich die Kehlen nach Dave wundgeschrien und was haben sie dann gemacht? Teile seines Schlagzeugs gestohlen. Bestiehlst du dein größtes Idol? Für die war das ganz natürlich und ich musste sie tatsächlich aufklären, dass diese Vorgehensweise einfach falsch ist. Wir müssen auch für die Scheiße arbeiten oder nicht? Ich nehme denen doch auch nichts weg.
Tomaselli: Wir waren doch alle mal Fanboys oder nicht? Ich war auch einmal auf einem BRITNEY-SPEARS-Konzert und wollte sie unbedingt. Auch LADY GAGA. Und ihre Mom (lacht).
Nestler: Ich liebe ja MILEY CYRUS, die ist doch total geil drauf und bekifft sich zudem dauernd. (Die Band bekommt eine Ladung Wiener Schnitzel in Alufolie geliefert. Vor allem Dave Lombardo ist restlos begeistert und schmatzt während des Interviews lautstark dahin. Ist zudem freundlich genug, mir ein Stück anzubieten.)

Fällt es euch in der Band schwer, dass Dave als ehemaliger SLAYER-Drummer so stark im Rampenlicht steht?

Tomaselli: Dave ist Dave, das ist doch ganz klar. Es muss in jeder Band ein Licht geben, das den Weg erstrahlt und das ist bei uns nun einmal Dave. Ich nenne ihn den „General“. Würde er mich in den Krieg schicken wollen, gehe ich sofort heim, hole meine Waffe und übe blinden Gehorsam aus (lacht).

Das klingt doch nach Freizeitvergnügen außerhalb des Jobs.

Nestler: Korrekt. Aber die Freizeit zählt ja im Prinzip dazu, weil wir dort auch oft zusammenhocken und Ideen oder Inspirationen bekommen. Es heißt ja auch nicht umsonst, man spielt zusammen. Nimm einfach das Wort „spielen“ – die Bedeutung haben viele Bands verlernt. Spielen bedeutet Spaß und nichts anderes. Viele Musiker können sich nicht riechen und zocken zusammen – das ist doch einfach nur Selbstbetrug. Wir machen das aus Liebe zur Musik und zur uns selbst.
Tomaselli: Ich fasse dir kurz zusammen, wie es bei uns aussieht. Meine Frau blieb in Kalifornien einmal mit einem leeren Tank hängen und ich war unabkömmlich. Also habe ich Dave um Hilfe gebeten. Er hat sich in sein Auto gesetzt, einen 40-Liter-Kanister vollgetankt, ihr aus der Patsche geholfen und nicht einen Cent dafür verlangt. Das ist wahre Freundschaft Mann, wo findest du das sonst? So ist Dave zu mir und deshalb ist die Atmosphäre bei PHILM auch so großartig.

Also droht bei euch kein MÖTLEY-CRÜE-Schicksal, wo mittlerweile jedes einzelne Bandmitglied mit dem eigenen Bus zur Bühne gekarrt wird?

Tomaselli: Das ist doch keine Band. Ich habe gestern Nacht mit Gary geschlafen (lacht). Also, wir haben uns ein Zimmer geteilt. Ich wachte schweißgebadet auf, weil er mir so nahe gerückt ist und mir im Schlaf fast die Fresse poliert hätte.
Nestler: Mit den Jungs kannst du wirklich nur lachen. Das ist wirklich ein Wahnsinn. MÖTLEY CRÜE sind auch keine Band mehr, sondern eine Kooperation. Sie haben längst ihre Freundschaft und wohl auch die Verbindung zueinander verloren. Dort ist alles so durchgeplant. Wenn wir auf der Bühne stehen und Pancho kommt mit einem Riff, dann steige ich halt ein und wir spielen einen Song. Völlig egal, ob der jetzt auf der Setlist platziert ist oder nicht.
Tomaselli: Willst du wissen, wie ein PHILM-Song entsteht? Wir alle sitzen bei irgendeinem von uns im Wohnzimmer. Einer beginnt was völlig Abgedrehtes zu spielen, der zweite steigt ein und der dritte schreit herum, dass man sich die Idee merken soll. Das sind PHILM. Unlängst kam plötzlich meine Mom rein als ich am Bass gespielt habe. Sie ist mittlerweile 81 und hat mir nur kurz zugehört. Ich habe es genau gesehen – sie hat ihre Faust gehoben und mir gehuldigt (lacht). Das war der ultimative Ritterschlag.

Tut ihr euch manchmal schwer, diese komplizierten Soundstrukturen live auf der Bühne abzurufen?

Lombardo: Nein. Wenn du die richtigen Musiker hast, alle vorher genug getrunken, gegessen und Weed geraucht haben, eben entspannt sind, kann nichts mehr schiefgehen. Ich liebe es zudem live zu spielen, dort befreie ich mich von allen Zwängen. In einer Stunde auf der Bühne kannst du einfach alles rauslassen, das ist in einem Studio unmöglich.
Tomaselli: Wir haben unlängst einen Monat lang Musik für ein paar verrückte Disney-Cartoons aufgenommen. Das war eine total geile Erfahrung, weil gerade im Metalbereich so viele Dogmen herrschen und man möglichst nicht aus der eingeschlagenen Spur ausscheren sollte. Wir haben uns aber hingesetzt, ein Piano eingebaut und völlig abgedrehte Cartoon-Musik geschrieben. Warum denn auch nicht? Wir sind einfach sehr vom Instinkt getrieben und die erste Idee ist oft wirklich die beste.
Nestler: Im letzten Song des Albums, „Corner Girl“, haben wir die Soundstrukturen auch auf ein Piano aufgebaut. Eigentlich leitet dieser Song bereits zum nächsten Album über. Bereits auf „Harmonic“ hatten wir mit „Way Down“ oder „Held In Light“ Songs, die thematisch und klanglich schon das neue Album vorweggenommen haben. Hier haben wir das in Hinblick auf das dritte Album auch gemacht. (Lombardo ermahnt seine mit Interviews wenig erfahrenen Kollegen amüsant aber bestimmt, die Antworten kurz zu halten und „nicht so viel zu schwafeln“.)

Es gibt also eine Brücke zwischen all euren Alben?

Nestler: Kann man so sagen. Und „Harmonic“ kannst du als eine Art Einleitung betrachten.
Lombardo: Wir haben bereits Musik für das nächste Album geschrieben. Das Material ist wohl etwas heavier und dichter, aber auch ein bisschen langsamer. (Lombardo spielt mir nach dem Interview die Rohfassungen von drei Songs auf seinem Macbook vor. In der Vorproduktion und ohne Gesang. Sie weisen mehr Groove als das bisherige Material auf und klingen für PHILM-Verhältnisse fast schon etwas zu eingängig.)

Mit dem richtigen Sound seid ihr vor allem live eine unglaublich druckvolle Combo.

Nestler: Die Leute kriegen oft den Mund gar nicht mehr zu vor lauter Staunen. Sie reagieren oft richtiggehend geschockt, aber unsere Soundwand muss man auch erst gewohnt werden, wenn man sie noch nicht kennt.

Dave, nächstes Jahr gibt es endlich wieder ein neues FAITH NO MORE-Album. Bist du da in irgendeiner Art und Weise als Gast vertreten, nachdem dich mit Mike Patton eine jahrelange Freundschaft verbindet?

Lombardo: Nein, die brauchen mich doch nicht. „Puffy“ Bordin gehört doch zu den besten Drummern der gesamten Welt. Der Typ hat Hände, das ist der Wahnsinn. Es ist so, als ob er mit Messern anstatt Drumsticks hantieren würde. Bestimmt und doch präzise – das beschreibt seinen Stil wohl am besten.

Du bist seit einiger Zeit auch im AMEN-Line-Up zu finden.

Lombardo: Ja, es kommt ein neues Album und darauf werde ich zu hören sein. Das ist vorläufig aber alles. Die Medien waren da leider wieder etwas vorschnell und haben mich schon als Fixmitglied in die Band geschrieben. Das stand aber niemals zur Debatte. Ich werde jetzt auch nicht mehr mit ihnen live spielen. Es kann schon sein, dass das eine oder andere Projekt real wird, oder ich mal einen Soundtrack mache, aber nichts kann mir den Fokus von PHILM nehmen. Wir teilen so viel miteinander, ich fühle mich verdammt wohl und es gibt keine Musiker, mit denen ich besser zusammenarbeiten könnte als mit Gary und Pancho. Wir haben dasselbe Gefühl für Musik. Außerdem sind sie wie ich – nette Jungs.

Du hast schon mehrmals betont, dass das Genre Heavy Metal sich selbst zu stark einschränkt.

Lombardo: Das stimmt, dazu stehe ich. Es gibt eine bestimmte Richtung die du einschlägst und eigentlich nie mehr verlassen dürftest. Es ist unfassbar, wie viele gute, individuelle Drummer es gibt, die den komplett gleichen Drum-Sound haben. Sie haben alle dieselbe Software und es klingt so, als ob sie sich selbst in einer Endlosschleife sampeln würden. Die Bassdrums klingen wie Tom Toms und die Tom Toms wie die Bassdrum. Du hörst oft nur mehr Blastgewitter, aber kein Gefühl. Irgendwann werden sie das aber kapieren und nach Eigenständigkeit suchen.

PHILM würden sich auch in den elektronischen Bereich wagen?

Lombardo: Warum nicht? Wenn ich ein Drum-Loop habe, die Layer darüber liegen und ich noch mein Schlagzeugspiel draufsetze – klar doch. Es gibt keinen Grund, uns irgendwie zu limitieren, denn das gibt es bei PHILM nicht. Die einzige Prämisse ist, nicht zu einfach und stumpf zu klingen.
Tomaselli: Wir haben alle komplett verschiedene musikalische Backgrounds und es ist schön, dass wir uns gefunden haben. Deshalb klingt auch alles so frisch und unverbraucht. Man muss sich einfach aus dem Kokon des Gewohnten schälen.

Dave, ich sehe schon an deinem Gesicht, dass du dir im Klaren darüber bist, dass ich jetzt noch mit ein paar SLAYER-Fragen komme.

Lombardo: (lacht) Na los, mach halt.

Schließt du ein Comeback kategorisch aus?

Lombardo: Du kennst die Antwort. Du hast sie gelesen und gehört.

Aber einerseits heißt es „sag niemals nie“ und andererseits bist du schon einmal zu SLAYER zurückgekehrt, obwohl das davor als unmöglich galt.

Lombardo: Ja, den Spruch kenne ich natürlich. Pancho sagt mir schon immer: „Die werden dich sicher wieder anrufen, da wette ich darauf“. Aber nur weil sie mich anrufen heißt das noch lange nicht, dass ich dann alles liegen und stehen lasse und zurück in die Band springe. Sie haben mich schon einmal verarscht, ich war so dämlich noch einmal zurückzukehren und wurde wieder verarscht – jetzt können sie sich ficken. Das Thema ist durch.

Man wird dich somit wohl auch nicht als Gast bei einer SLAYER-Show sehen?

Lombardo: Eine Live-Show? Warum? Um einen lausigen Drum-Sound zu hören? (lacht) Ich habe mit Kerry King vor meinem Abgang noch die Songs gehört - sie reißen mich nicht vom Hocker.

Du hattest also schon fleißig mitgeschrieben?

Lombardo: Na klar doch, aber sie haben alle meine Spuren rausgenommen und sie neu einspielen lassen. Was interessiert mich das alles noch?
Tomasselli: Ich hab’s dir ja schon vorher gesagt – uns geht es jetzt darum, Spaß zu haben und mit Leuten zu spielen, die wir mögen. Alles andere hat keinen Sinn.


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