Interview: IQ - Michael Holmes

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Wenn ich die Wahl hätte, in Pension zu gehen wie normale Menschen, oder auf der Bühne umzufallen, ich wüsste es gar nicht. Als wir anfingen, hätte nie jemand gedacht, dass wir 2014 noch hier sind!

IQ waren nie eine Band, die mit Bomben und Granaten Alben promotet, auch Skandale oder zwischenmenschliche Dissonanzen gab es bei den bescheidenen Briten nie. Trotzdem war der Weg nicht immer ein leichter, ab und zu drehte sich das Personalkarussell auch bei IQ recht flott, und nach dem Ausstieg von Martin Orford unkten viele bereits das Ende der Band herbei. Mit "The Road Of Bones" straft man nun nicht nur sämtliche Kritiker der letzten drei Dekaden Lügen, man legt auch das bislang reifste Werk vor. Ich unterhielt mich mit Mastermind Michael Holmes, und konnte ihm trotz schlechter Telefonverbindung ein paar Statements zum elften IQ-Album aus den Rippen leiern.

Veröffentlicht am 02.06.2014

Michael, wo führt uns die "Road Of Bones" hin, die namensgeben für euer neues Album ist?

Das Album handelt von einem Serienmörder, und die "Road Of Bones" ist quasi das Spiegelbild seines Lebens, und diese Straße ist mit den Knochen seiner Opfer gepflastert. Darum geht es aber eigentlich nur im Titeltrack. Übrigens gibt es wirklich eine "Knochenstraße", und zwar in Russland. [Die hat jedoch nichts mit Serienmördern zu tun, sondern bezieht sich auf die Sklavenarbeiter, die beim Bau ums Leben gekommen sind; Anm.d.Verf.]

Der Titel ist aber irgendwie insgesamt düster, und auch das Covermotiv fügt sich in diese Düsternis ein. Hab ich den Eindruck, dass eure Alben von Mal zu Mal ein wenig ernster und dunkler werden?

Hm, das mag sein, aber das passiert einfach. "The Road Of Bones" ist tatsächlich dunkler gefärbt als unsere restlichen Alben. Das war aber anfangs gar nicht geplant, vielleicht ist es auch ein Spiegelbild dessen, wo wir selber zu diesem Zeitpunkt gestanden sind. Ich wollte aber in die Musik durchaus so eine Art düstere Vorahnung einbauen, oder zumindest eine Stimmung, die so etwas ausdrückt.

War denn die Zeit des Songwritings für euch persönlich irgendwie negativ geprägt?

Nein, eigentlich nicht, mein Leben ist eigentlich recht gut, so wie es momentan läuft. Ich glaube es ist ... nun, ich weiß es irgendwie gar nicht, wo das letztendlich herkam. Das Ganze wuchs sehr organisch heran, und die Stimmung des Albums ist auch von vielen Filmen beeinflusst worden, die wir in der letzten Zeit gesehen haben. Der Titeltrack fühlt sich für mich auch fast an wie ein Soundtrack. Wir haben uns mit IQ immer schon gedacht: es ist toll, wenn man die Leute musikalisch auf eine Reise mit nehmen kann. So arbeiten wir eigentlich seit jeher.

Also, jetzt wo du es sagst... ich denke man hört dem Album an, dass ihr euch viel von Soundtracks beeinflussen habt lassen...

Ich habe das immer schon gemocht, ich mag die Atmosphäre, die man bei Filmen über die Musik erzielen kann. Ich kaufe mir selber nicht viele Alben, wenn dann sind es hauptsächlich Film-Soundtracks.

Ich habe im Internet ein wenig recherchiert, und bin draufgekommen, dass ihr bei elf Platten bereits elf verschiedene Line-Ups hattet, vielleicht habe ich mich auch verzählt. Aber denkst du das ist ein Umstand, der die Band zu dem gemacht hat was sie heute ist?

Ja, das mag sein. Es klingt nach vielen verschiedenen Line-Ups, aber zwischendurch waren wir auch immer wieder mal relativ stabil. Wir hatten eine durchgehende Besetzung für fast 19 Jahre. Seit dem "Ever"-Album sind wir eigentlich relativ konstant geblieben. Natürlich gab es nach "Frequency" wieder personelle Umstrukturierungen, aber heute haben wir dadurch wieder vier Fünftel von unserem Anfangs-Line-Up beisammen! Die Arbeitsumgebung mit den Leuten momentan könnte also nicht besser sein.

Stimmt, bis auf Martin Orford seid ihr ja eigentlich wieder im Original aufgestellt...

Ja! Weißt du, als wir vor all den Jahren das erste Mal zusammen kamen, waren wir in unseren Zwanzigern. Das ist eine sehr wichtige Zeit im Leben eines Menschen und die Freunde, die du dir in diesem Alter machst, die hast du oft ein Leben lang. Und es tut gut wenn du wieder mit deinen alten Freunden zusammen arbeiten kannst.

Mit eurem eigenen Label "Giant Electric Pea" habt ihr auch mehr Entscheidungsfreiheit, seid ungebundener...

Absolut, ja. Wir hatten diverse Erfahrungen mit Major Labels gemacht, und es ist toll, jede noch so kleine Nuance einer Produktion selbst entscheiden zu können. Das betrifft vor allem den Stil und die Art, wie wir unsere Musik präsentieren. Aber auch die Release Dates und so Sachen, es entsteht da kein Druck mehr, so wie früher. Das wichtigste ist aber, dass wir die Rechte an unseren Songs niemanden abtreten müssen. Wir sind also als Band heute in einer überaus vorteilhaften Position.

Scheinbar habt ihr auch einen Rhythmus gefunden, in dem ihr Alben rausbringt, der mit etwa drei Jahren einerseits nicht zu lange dauert, euch als Band andererseits aber genug kreativen Raum gibt...

Ja, das mag so stimmen, aber diesmal waren wir insgesamt ziemlich beschäftigt und der Zeitplan war recht eng. Wir hatten diese Line-Up-Veränderungen, und dann hatten wir einige Jubiläen zu feiern, den Dreißiger von "Tales From The Lush Attic" und das Live-Album von "The Wake", die Band selbst feierte auch ihr dreißigjähriges Bestehen. Nicht viele Bands werden so alt, also wollten wir das gebührend feiern. Die Arbeiten zu "The Road Of Bones" konzentrierten sich dann etwa auf eineinhalb Jahre. Das ist aber immer noch Zeit genug, um etwas ordentliches auf die Beine zu stellen denke ich. Natürlich ist es aber in unserer Position wichtig, nicht zu lange mit einem Release zu warten, aber bevor wir nach zwei Jahren etwas halbgares raushauen, warten wir lieber fünf Jahre und liefern ein klasse Teil ab.

So eine Arbeitsethik würde ich mir bei anderen Bands auch öfters wünschen. Und solange ihr regelmäßig etwas rausbringt, sagt uns das ja, dass das Feuer bei euch nach wie vor lodert.

Richtig. Zum jetzigen Zeitpunkt allerdings können wir bereits sagen: das Teil ist im Kasten, and that's it.

Ich habe mir "The Road Of Bones" bereits einige Male zu Gemüte geführt, im Vergleich zu "Frequency" finde ich es etwas düsterer. Aber lustiger weise dachte ich das gleiche damals über "Frequency" und "Dark Matter". Ist da eine unbewusste Entwicklung zu erkennen?

Ja, vielleicht. Wie ich schon sagte, wir wollten das Ganze ein wenig schwerer klingen lassen, ein wenig dichter. Es ist wenn, dann sicherlich eine natürliche Veränderung, keine allzu bewusst gewollte. Wir machen einfach das, wo wir der Meinung sind, dass es sich richtig anfühlt.

Euer Sänger Peter Nicholls meinte mal in einem Interview, dass ihr es nie beabsichtigt, extrem lange Songs zu schreiben. Aber mit "Without Walls" habt ihr auch diesmal wieder einen zwanzigminütigen Koloss komponiert...

Das ist interessant zu beobachten, denn wenn wir anfangen, an einem Stück zu arbeiten, legen wir uns so gut wie nie auf die Dauer fest. Das geht alles einen natürlichen Weg. Wenn wir einen dreiminütigen Song schreiben, und er fühlt sich komplett und gut für uns an, dann bleibt es dabei. Bei "Without Walls" sah es aber für uns immer so aus, als wäre da quasi noch etwas zu sagen. Bemerkenswert ist auch, dass wir hier den Schlussteil zuerst geschrieben haben, und es fühlte sich wie das Ende eines sehr epischen Stücks an. Ich habe also begonnen, am Beginn des Songs zu arbeiten, und so kam eines zum anderen, bis es schließlich zusammenwuchs auf diesen riesigen Track. Zuerst dachte ich, dass es mit sechs bis acht Minuten getan wäre, aber es ging immer weiter und weiter. Ein Album braucht für mich einen natürlichen Fluss, und die Songs in sich natürlich auch.

Habt ihr für das Artwork wieder Tony Lythgoe engagiert, der ja die meisten eurer Covermotive gestaltet hat?

Ja, speziell bei diesem Album haben wir ihn von Beginn an mit eingebunden. Ich habe ihm bereits ein paar sehr frühe Mixes der Songs geschickt, damit er sich etwas dazu ausdenken konnte. Dann hat er mal einige Ideen zusammengebastelt, es war immer ein sehr reger Austausch und wir haben ihm gesagt, was uns gefiel und was nicht. Mit dem endgültigen Motiv kam er eigentlich ziemlich spät an, aber es gefiel uns am besten.

Man sieht da ein düsteres Gesicht aus den Wolken schauen, das eine Geste macht, die anscheinend "pssst" heißen soll. Was sagt dieses Motiv aus und wie korelliert es mit dem Konzept der Platte?

Nun, da verhält es sich ähnlich wie mit den Texten, die Leute sollen sich einfach auch eigene Gedanken dazu machen. Das Covermotiv bezieht sich auf den Titeltrack "The Road Of Bones", wo es ja um einen Serienmörder geht. Das ist also sein Gesicht, das wir hier sehen, und er versucht uns in seine Welt einzuladen, um zu verstehen was er getan hat und dann darüber zu schweigen. Es ist fast schon ein unheimliches Bild finde ich.

Ja, den Eindruck hatte ich auch. Denkst du es ist mitunter ein Zeichen von Reife als Band, sich mit solchen eher komplizierten Themen auseinanderzusetzen? Ihr habt ja bisher beispielsweise auch wenige politische Songs im Repertoire...

Vereinzelt gab es politische Themen, etwa bei "Harvest Of Souls" vom "Dark Matter"-Album. Was wir mit Musik und Text sagen wollen, wächst ebenfalls organisch heran. Die Themen liegen anfangs nicht offen auf dem Tisch, sie kommen nach und nach während des Schreibens. Peter arbeitet da oft sehr viel Einflüsse mit hinein, Bücher die er gerade liest oder Filme, die er kürzlich gesehen hat. Ich glaube es kommt nie vor, dass er sich gezielt hinsetzt und sagt: ok, heute schreibe ich einen Song über dies oder das.

Also sitzt er eher mit der Tageszeitung im Studio rum und lässt sich inspirieren...

Haha, ja genau. Wir alle sind ja von dem beeinflusst, was wir täglich hören und sehen, also ist diese Entwicklung eigentlich nur logisch.

Glaubst du, dass IQ eine typisch britische Band sind? Von deinem Standpunkt aus verhält sich das wahrscheinlich anders, aber für mich klingt ihr sehr britisch...

Ok, ja wie du sagst, das ist für dich sicher leichter zu definieren als Außenstehender. Aber da könnte was dran sein.

Es gibt ja einige Bands, die diesen typischen britischen Touch haben, wie etwa ARENA, MARILLION oder THRESHOLD. Diese Art von progressivem Rock könnte man also durchaus als ein britisches Phänomen bezeichnen, oder?

Ja, ich denke irgendwo schon. Man kann da vielleicht keinen gemeinsamen Sound definieren, aber es kommen ja viele dieser progressiven Bands aus England. Als ich zum Beispiel das erste Mal EMERSON, LAKE & PALMER hörte, klang das alles nach ziemlich modernen britischen Hymnen. Da stimme ich dir zu, da fallen wir wahrscheinlich auch in diese Kategorie.

Ihr spielt ja jährlich so eine Art traditionellen "Weihnachts-Gig". Bist du denn eigentlich ein religiöser Mensch?

Nun, das Ganze ist ja rein zum Gaudium der Leute. Ich selbst bin überhaupt nicht religiös, ich kann mich eher als Atheist bezeichnen, so wie übrigens die meisten in meinem Umfeld.
Ursprünglich seid ihr ja aus dem Hafenstädchen Southampton...

Ja, das ist richtig, aber ich bin dort eher selten. Mein Lebensmittelpunkt ist seit 25 Jahren London. Nicht, weil es da so viel für Musiker zu tun gibt, nein. Ich liebe London einfach. Ich wollte da als Kind schon hin ziehen, und als ich alt genug war, tat ich das dann auch, hahaha.

Wie lange kannst du dir vorstellen, mit IQ weiterzumachen? Schließlich seid ihr bereits alle so Mitte Fünfzig...

Also wenn ich die Wahl hätte, in Pension zu gehen wie "normale" Menschen, oder auf der Bühne irgendwann tot umzufallen, ich wüsste es eigentlich gar nicht. Als wir mit IQ damals anfingen, hätte ja niemand von uns auch nur im Traum gedacht, dass wir 2014 immer noch hier sind. Das ist ja schon eine Errungenschaft. Wir werden das machen, solange wir Spaß dran haben denke ich, solange wir gute Musik aus uns rausholen können, solange uns die Leute hören wollen.
Als das Rockmusik-Ding in den Fünfzigern und Sechzigern groß wurde, war es ja eigentlich immer Musik von jungen Leuten für junge Leute, und viele Bands waren in den Siebzigern bereits wieder verschwunden. Heute verhält sich das anders denke ich, man macht weiter, solange man Freude daran hat.

Hast du irgendeinen väterlichen Rat für junge Musiker von heute?

Nun, man sollte einfach tun, was man für richtig hält, und sich nicht von anderen dreinreden lassen - ob man nun Musiker ist oder nicht. Denn irgendwann bereut man vielleicht mal, irgendwelche Dinge nicht getan zu haben.

Es gibt nichts zu bereuen, außer vielleicht dass man sich "The Road Of Bones" nicht angehört hat.


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