Interview: Corvus Corax - Castus Rabensang

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Unsere Fans wollen keinen Geschichtsunterricht, sie kommen um Spass zu haben...

Im Gespräch über "Venus Vina Musica", einer Reise durch das 13. Jahrhundert...

Text: metfrog
Veröffentlicht am 10.08.2006

METFROG: Mit "Venus Vina Musica" habt Ihr ein fantastisches, neues Album am Start, das sich thematisch mit der Weltreise eines Spielmannes durch Länder und Kulturen des 13.Jahrhunderts beschäftigt. Ist diese Geschichte real, eine Legende oder einfach nur von Euch gut erfunden?

CASTUS: Die Story ist wie eine Sage anzusehen, mit teilweise wahren Fragmenten, und der Spielmann hat in der Tat existiert. In einigen Schriften wird von einem solchen erzählt, der 100 Jahre nach Marco Polo gen Osten gezogen ist. Es wird nicht immer der gleiche Spielmann sein, das nicht, aber auf alle Fälle gab es einen Spielmann, der nach Indien gezogen ist, um Sanyogita, eine sagenumwobene Tänzerin, zu finden. Aber die restliche Geschicht, dass er sich in sie verliebt hat, und dass er aus jedem Land ein Musikstück mitgebracht hat, dass alles haben wir drumherum erfunden, dass sich das Publikum die Story ein bisschen besser vorstellen kann.

Wie bzw. wer kam auf die Idee rund um diese Thematik diese Story so aufzubauen?

Seit ich denken kann, interessiere ich mich fürs Mittelalter, und natürlich auch für die Marco Polo Geschichte, über die ich viele Romane, Bücher und Dokumentationen gesehen und gelesen habe. Ausserdem bin ich ja selber viele Strecken der Seidenstrasse entlang gezogen. Damals, zur Zeit der DDR, war ich illegal in der Sowjetunion, und habe dann da verschiedene Städte, zB Taschkent, bereist, und war dann auch da, wo Dschingis Khan entlang gereist ist, der ist ja von der anderen Seite gekommen. Ausserdem finde ich, dass das 13.Jahrhundert auch eine sehr schöne Zeit für das Volk gewesen ist. Da gab es keine Armut, da gab es einfach gut gelaunte Leute. Deswegen ist die Musik auch sehr angenehm, obwohl die Musik, die wir da gemacht habe, muss ja nicht aus dem 13.Jahrhundert stammen.

Das heisst, mit den vielen Reisen, die Du gemacht hast, kann man eigentlich durchaus Parallelen zwischen Dir bzw. Euch und dem Spielmann erkennen.

Ja klar, wir sind ja erfahrene Spielleute, treiben uns gerne herum, und waren auch schon in Japan. Im Anschluss daran kam uns die Idee, die keltische Melodie mit Koto, mit den Trommeln (bei Bibit aleum zu hören), das so zu bearbeiten und somit das Westlichste mit dem Östlichsten zu verbinden.

Euer Spielmann ist auf der Suche nach der Tänzerin Sanyogita - weisst Du, was dieser indische Mädchenname bedeutet?

Die Tänzerin gab es wirklich, allerdings schien die Bedeutung des Namens bei meinen Recherchen nicht auf - sie war zu ihrer Zeit sehr berühmt aufgrunde ihrer Schönheit und ihres anmutigen Tanzes und sie sollte verheiratet, hat sich aber dann ihren Ehemann selber genommen - den einzigen Inder, der nicht zum moslemischen Glauben übergegangen ist. Der Vater hat große Politik gemacht und hätte sie gerne mit einem Moslem verheiratet gesehen, aber sie hat sich für einen indischen Prinzen entschieden, weswegen natürlich auch dann alle Spielleute traurig waren, da sie ja dann vergeben war.

Vom Zauber der Sanyogita nun gleich zum Zauber der Eure neue Scheibe quasi eröffnet. "Venus Vina Musica" wird von einem alten Zauberspruch eröffnet, der Heilung gegen Kopfschmerzen bringen soll. Wie funkioniert der Zauber im Konkreten?

Man nimmt sich ein Stück Papier, schreibt da drauf " Leo, Lea, Taurus, Tigris, Corvus Corax, Pantera", dabei verhält man sich ganz still, dann rollt man das Papier zusammen, bindet es sich auf den Kopf und brüllt dann das Geschriebene laut raus und dann ist das Kopfweh weg.

Und, schon mal probiert?

Klar, jedesmal wenn ich was trinken war. Mit positivem Resultat.

Ihr beweist mit dieser CD einmal mehr, dass es trotz der alten Themen und Instrumentierungen für Euch keinen Stillstand gibt. Woher nehmt Ihr Eure Ideen?

Wichtig ist, dass man sich alle Lieder in einem Stück anhört. Oliver Satyr von Faun hat bei einem Stück ja Harfe gespielt, und bei "Qui nous demaine", ein französisches Liebeslied, auch keine Blasinstrumente von Corvus Corax, was ja auch sehr ungewöhnlich ist. Es ist einfach so, dass wir gerne Musik machen, und ich sehr gerne in Bibliotheken rumsitze, und etwas Forschung betreibe. Dann, wenn man so ein Fragment gefunden hat, ist es ja nicht so, dass wir Geschichtsunterricht betreiben, aber wir machen das dann so im Corvus Corax - Stil,
also wir verändern das Ganze, genau das Gleiche machen wir bei Melodien. Wenn wir eine Melodie nicht zu spielen wissen, verändern wir sie für unsere Instrumente. Aber das ist das Spielmännische und das war schon immer so und wir sind halt in der alten Tradition so geblieben, dass wenn wir eine Melodie spielen sollen, die Melodie uns anpassen müssen. Es ist sozusagen nie das Original, aber das will ja das Publikum auch nicht. Unsere Fans wollen von uns ja keinen Geschichtsunterricht, sondern die kommen einfach um Spass zu haben.

Betreffend Spass an der Musik haben, würde es mich interessieren, welche Musik sich denn in Deinem Plattenschrank befindet?

Also generell höre ich gerne gute Musik... Das kann Klassik sein, abgefahrene Klassik, oder auch Neo-Klassik. Ich bin ein extremer Mozart-Fan, ein Vivaldi-Fan, bin aber auch ein Metal - Fan und Hardcore hör ich mir auch gerne mal an. Da gibts eigentlich keine Grenzen. Als Kind habe ich sehr gerne Blues angehört, jetzt hör ich mir gerne mal den richtigen, schwarzen Blues aus den 30er,40er,50er an. Das ist eben DER Blues, und tja Schlager - na wie gesagt ich höre gute Musik und da habe ich noch nicht viel Gutes gehört. Also ich hör quer durch den Gemüsegarten aber es kann auch mal richtig hart sein. Was ich selbst selten höre ist mittelalterliche Musik, dann muss es schon sehr speziell sein. Wenn ich so etwas hör,am besten das recherchierte Zeug aus anderen Ländern, so die richtigen Originale, dann bitte schön Geschichtsunterricht, aber das hör ich mir dann schon alleine an und nerve damit niemanden.

Ihr habt ja vor nicht allzulanger Zeit mit "Cantus Buranus" ein wahres Mammutprojekt realisiert. Bitte erzähl mal ein bisschen darüber...

Wir sind sehr stolz auf unsere letzte Veröffentlichung. Das ist "Cantus Buranus" Live in Berlin auf der Museumsinsel. Wir haben sehr hart dafür gearbeitet. Zuerst wurde das Studioalbum eingespielt, und vielleicht nochmals für diejenigen die es nicht kennen: Das sind Texte aus der Carmina Burana, aus einer mittelalterlichen Liederhandschrift,die Noten die da drinnen sind, sind also nicht nachzuvollziehen, man könnte aus Parallelhandschriften die Musik mitnehmen, aber wir machten das in der klassischen Corvus corax - Version. Wir haben also Texte genommen, haben für das Orchester und 2 Chöre und Corvus Corax etwas dazukomponiert, da ist sozusagen keine Originalmelodie, wir haben das alles selbst komponiert, und haben dann ein Studioalbum gehabt, das wir unbedingt auf die Bühne bringen wollte. Wir hatten zunächst eine Voraufführung in Cottbus um auszuprobieren ob das überhaupt funktioniert - es hat funktioniert,und dann waren wir aufm Wacken und haben vor 33.000 Leuten gespielt. Machine Head haben vor uns gespielt - das bring ich immer sehr gerne in Metalkneipen an, wenn sie mich so fragen, was ich gerne für Musik höre, da sag ich immer: Machine Head find ich ganz gut, die ham ja mal vor uns gespielt" - das ist ja nicht so, dass ich dann damit gross angebe, aber ich kucke mir gerne die Gesichter an. "Was magst du denn so für Musik ?" Na, aber Cantus Buranus hat´s eben verdient. Dann haben wir es eben in Berlin auf der Museumsinsel aufgeführt - für uns ein wahrhaft traumhaftes Ambiente, neben der alten Nationalgalerie. Naja die ganze Sache musste mal vorbereitet werden, jetzt wars dann an dem das ganze Material zusammenzubringen. Alle Leute, mit denen wir zusammengearbeitet haben, waren Superprofis,und als wir dann wirklich das Produkt "Cantus Buranus - Live" endgültig gesehen haben, waren wir fassungslos wie gut das ganze Ding geworden ist. Wir sind ganz stolz auf unser Werk, das kuck ich mir selber an. Ansich tun wir uns immer schwer nach Veröffentlichung das nochmals einzulegen - relativ selten passiert das dann, meistens bei Freunden, aber das kann ich mir ganz alleine mal ankucken.

Angeblich soll ja geplant sein, dass Ihr im Herbst am zweiten Teil zu "Cantus Buranus" schreiben werdet....?

Das Gerücht ist, dass wir im Herbst anfangen werden daran zu arbeiten. Der Wim und ich haben bereits jeweils Fragmente dazu, ich hab Sachen rausgesucht und auch schon etwas geschrieben, aber wie wir das machen ist noch ungewiss. Dieses Jahr oder nächstes Jahr... das ist echt ein Haufen Arbeit. Wir haben jetzt viel gelernt dabei, das wird jetzt nicht so lange dauern, das andere waren ja 2 Jahre Arbeit, aber wir müssen uns auch erst einen Plan erarbeiten. Wir haben jetzt ein kreative Loch zur Zeit, was wir uns aber auch verdient haben nach Cantus Buranus, Tanzwut Doppelalbum, und jetzt noch Venus Vinus Musica - jetzt ist erst mal genug. Dieses Jahr kommen noch von einigen Leuten von uns Soloprojekte, um das Gehirn frei zu blasen. Wir sind halt Vollblutmusiker, wir teilen uns ja auch die Arbeit. Teufel schreibt bei Tanzwut die Texte, und deswegen muss er sich bei anderen Sachen nicht so reinhängen. So generell wird es eben bei uns aufgeteilt. Die Trommler trommeln und die Dudelsackspieler dudeln und da ist es selbst auch Quatsch, wenn ein Trommler sich erstmals um die Musik kümmert. Da sitzen Wim und ich und fiebern, dass wir die Melodien machen und dann kommen die Trommler und bringen sich ein. So ist die ganze Arbeit geteilt und man kommt auch sehr weit.

Nicht nur, dass Ihr Vollblutmusiker in den eigenen Reihen seid, Eure Hilfe bzw. Eure Arbeit ist auch bei anderen Bands sehr gefragt, wie zuletzt bei Schandmaul. Glaubst Du, dass der Zusammenhalt bei den sog."Mittelalterbands" stärker ist, als in der Musikszene im Allgemeinen?

Mit Schandmaul sind wir ja befreundet. Die Birgit kennen wir schon sehr lange, da sie ja auch früher in Kaltenberg bei einem Instrumentenbauer gearbeitet hat. Als sie dann bei Schandmaul war, haben wir dann durch sie die anderen kennengelernt. Es macht einfach Spass mit denen dann nach einem Festival zu sitzen und ein Bierchen zu trinken, einfach zu quatschen und gute Laune zu haben. Wim und ich haben dann bei "Kunststück" im Zirkus Krone mitgespielt und dann hat der Thomas bei Tanzwut mitgesungen, Anna und Birgit haben dann noch ihre Sachen dazubeigetragen, Dudelsack und Geige wurde dann noch eingespielt. Dann wie gesagt bei Corvus Corax Oliver Satyr und noch ein Kollege - also ja, wir haben ständig Leute aus anderen Gruppen, mit denen man gerne musiziert. Es ist nicht so, dass wir mit allen Gruppen unbedingt was machen müssen, weil sonst könnte man sich ja auch die Berühmten suchen, und fragen "willst du mal" - man muss einfach einen gleichen Draht haben, sich in die Augen kucken können und mit solchen Leuten arbeiten wir gerne.

Bei so vielen vielfältigen Projekten braucht man sehr viel Sprachgefühl - welche Sprachen beherrscht bzw. sprecht ihr in der Gruppe?

Es ist so, der Urkern, der Wim und ich sind aus dem Osten - wir haben in der Schule Russisch gelernt. Der Rest kam dann so mit dazu, wir haben jetzt nicht so das grosse Latinum. Französisch spricht vor allem der Norri gut, der hatte das in der Schule. Und Altfranzösisch ist ja auch nicht Französisch - da musst ich mich dann wirklich mit ner Französin hinsetzen, die sich damit sehr gut auskennt. Also, ich spreche kein Altfranzösisch..

Also hart erarbeitet.

Naja, auswendig gelernt - aber ich mach ja sowas gerne und wenn wir irgendwo in der Kneipe sitzen und wollen dass uns keiner versteht, sprechen wir rottwelsch, die Sprache der Gauner und der Spielleute.

Wenn wir schon dabei sind, eine sehr lapidare Frage an Dich: Worin liegt für dich die Faszination am Mittelalter?

Das Mittelalter ist ja ein sehr gedehnter Begriff. Gerade wenn man Deutschland, Österreich sieht, geht das Mittelalter ja sehr lange, teilweise denkt man, dass man immer noch nicht draussen ist...Man sagt ja, dass das Mittelalter Ende des 14.Jahrhunderts aufgehört hat. Aber in Italien und Frankreich wars von der Musik her gesehen schon vorher vorbei. Wenn man Musik aus der Zeit hört, sind Frankreich und Italien schon sehr weit vorne - so Renaissance Musik. Zeitlich ist es für mich so zu sagen vom 5.-14.Jht. Die Faszination ist so die schöne Zeit, so das 10.,11.,12.,13., Jht. als es den Leute gut ging. Das war eine sehr warme Zeit, später kam dann so ne kleine Eiszeit, ein böses, schweres Erdbeben in Europe und dann die Pest, der 100 jährige Krieg, dass ist das finstere Mittelalter. Das fasziniert mich natürlich auch, doch wenn man mich mal fragen würde, wann ich denn gerne mal kucken würde, sicher nicht im 14.Jht. Ich find natürlich auch die Klischees, die ich als Kind schon hatte, toll. Ritter, Prinzessin, Spielleute, die interessieren mich natürlich auch immer noch. Das sind so meine Favoriten. So wie die Spielleute waren, die waren ja sowas wie Nachrichten, die Leute kamen ja aus ihren vier Wänden nicht raus. Auf einmal waren dann Spielleute am Marktplatz und erzählten den Leuten von Drachen, Ungetümen usw. und dass konnten die Spielleute, denn sie kamen von weit her und konnten schöne Geschichten erzählen und das machen wir natürlich auch gern.

Ihr spielt auf grossen Festivals aber auch auf Mittelalter - Märkten. Was ist für Dich persönlich der grössere Anreiz: tausende Menschen aufeinmal springen zu sehen, oder auf kleineren Veranstaltungen als Spielleute im eigentlichen Sinn aufzutreten?

Wir sind froh, wenn es bei uns wechselt - mal das eine mal das andere. Diese Publikumsnähe, die wir auf den Mittelaltermärkten vorfinden, freut uns natürlich, allerdings ist sie auch recht anstrengend irgendwann. Wir sind schon relativ bekannt und haben auch ne Menge Fans. Man ist natürlich auch gerne für seine Fans da, aber irgendwann mag man auch seine Ruhe habe, die hat man aber auf nem Mittelaltermarkt nie. Die hat man auf nem grossen Festival, aber dort gibt´s dann schon fast zuviel Ruhe..da kommt man ja fast nicht an seine Fans ran. Aber wenn man von beiden haben kann,hat man alles.

Das ist auch schon ein schöner Schluss, Castus - allerdings habe ich noch eine allerletzte Frage. Mein Latein liegt zwar schon ne ganze Weile im Verborgenen, jedoch habe ich festgestellt, dass Castus auf Latein "enthaltsam, sittenrein und unschuldig" bedeutet. Was hats damit auf sich - bist Du wirklich so brav?

(lacht) Naja, ich erzähl darüber gerne Schauermärchen, das kommt eigentlich gut. Das ist sozusagen von hintenrum...Bin natürlich ein sehr keuscher Mensch.

Wunderbar, vielen Dank und hoffentlich auf Bald.

Ja, wir sind bestimmt im Dezember im Planet Music.


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