Interview: Ayreon - Arjen Lucassen

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Die Sache ist die, ich plane eigentlich nie wirklich etwas. Ich gehe einfach ins Studio, arbeite an etwas und weiß nicht, worin es enden wird.

Mastermind Arjen Lucassen veröffentlicht mit "The Theory of Everything" nach über sechs Jahren den nächsten Output seines Mammutprojekts AYREON und so ist es nicht verwunderlich, dass ich ein paar Worte mit dem Niederländer gewechselt habe!

Text: Sonata
Veröffentlicht am 15.10.2013

Am 28. Oktober erscheint eine neue AYREON Platte, die auf den schönen Namen “The Theory of Everything” hört. Du hast in etwa 18 Monate an dem Album gearbeitet, wenn ich richtig informiert bin. Das könnte mit vier Longtracks und einem großen Konzept das progressivste Werk sein, an dem du bisher gearbeitet hast. Bist du mit dem Resultat zufrieden und kannst du ein paar Worte mit uns teilen, wie intensiv sich die Arbeit an diesem Album gestaltet hat?

Ja, das ist definitive das progressivste Album, dass ich bisher komponiert habe. Da sind so viele verschiedene Dinge auf dieser Platte. Es gibt natürlich eine neue Story, da die Geschichte um Planet Forever und Planet Y nun abgeschlossen ist. Also gibt’s nun eine komplett neue Story, die nicht dem Science Fiction Bereich zuzuschreiben ist. Es gibt neue Sänger und auch einige neue Instrumentalisten, mit denen ich zuvor noch nie gearbeitet habe. Diesmal war die Herangehensweise auch etwas anders. Ich habe einfach die Dinge niedergeschrieben, die mir in den Sinn kamen und teilweise Parts einfach aufgenommen und geschaut, was wie zusammen passt. So kam es schließlich dazu, dass ich vier lange Parts kreiert habe, wovon jeder in etwa 20 Minuten umfasst.

Wie du selbst sagst, hast du mit dem letzten AYREON Album die Story abgeschlossen, die mit “The Final Experiment begann. Nun beginnt also eine völlig neue Geschichte. Dieses mal finden wir hier keine Science Fiction Story vor, aber wir haben ein paar Charaktere, die Wissenschaftler repräsentieren. Selbst für einen Fan wie mich ist es schwer, das gesamte Konzept richtig nachzuvollziehen. Wir haben den Vater, der ein brillianter Wissenschaftler ist und wir haben natürlich das Wunderkind, seinen Sohn, der nicht das beste Verhältnis zu seinem Vater pflegt. Allerdings wünscht er sich, dass sein Vater stolz auf ihn ist und so arbeiten die beiden an der „Theory of Everything“ und der Vater führt mit dem Psychiater des Sohnes ein paar Gespräche, die eine Droge ins Spiel bringen, die er dem Sohn anschließend ohne sein Wissen ins Essen mischt. Durch diese Droge entert der Sohn quasi eine „neue“ Welt und kann sich besser konzentrieren. Nach einer gewissen Zeit bringt er auch in Erfahrung, dass er unter Drogeneinfluss stand, nimmt später sogar noch eine höhere Dosis, um das Puzzle der Theorie lösen zu können. Am Ende der Geschichte arbeiten Vater und Sohn auch nochmal eng zusammen, um das Ganze zu vollenden, was aber irgendwie sehr verwirrend ist. So starb der Vater doch am Tag davor und konnte somit gar nicht da sein. Das ist jetzt auch nur ein sehr kleiner Überblick, was die Story angeht, den ich bekommen habe, als ich mir das Konzept durchgelesen und mich mit den Lyrics auseinandergesetzt habe. Kannst du uns vielleicht mit simplen Worten erklären, was die Droge im Zusammenhang mit der Theorie für eine Rolle einnimmt und worüber diese Theorie an sich eigentlich handelt?

Du sagst, dass du die Story vielleicht nicht in ihrem ganzen Umfang verstanden hast, aber ich würde behaupten, dass du sie sogar perfekt verstanden hast! Die „Theory of Everything“ beschäftigt sich mit einer physikalischen Theorie. Viele Wissenschaftler arbeiten daran und möchten das Ganze entschlüsseln. Es umfasst quasi zwei Theorien an sich. Einmal befasst es sich mit der Mechanik an sich und dann spielt die Gravitation noch eine wichtige Rolle. Die Wissenschaftler versuchen, all das in einer Theorie zusammenzufassen, aber das funktioniert nicht. Was die Droge angeht...Der Sohn ist autistisch, redet nicht so viel und kann Emotionen auch nicht so richtig zeigen oder einordnen. Die Droge ist experimentell und soll dem Wunderkind helfen, sich zu konzentrieren, um das Problem besser greifen zu können. Aber ab einem gewissen Punkt ist die Droge natürlich sehr gefährlich, was der Psychiater eben auch zu bedenken gibt. Sie hat Nebenwirkungen, beeinflusst die Emotionen auch im negativen Sinne. Trotzdem verabreicht der Vater seinem Sohn die Droge im geheimen, was der Sohn aber später herausfindet. Dennoch möchte er weiterhin an der „Theory of Everything“ arbeiten, da das Ganze auch irgendwie ein Wettbewerb zwischen Vater und Sohn ist. Bis zum Ende ist die Story an sich auch relativ klar und leicht zu verfolgen, stellt sich auch sehr geerdet dar. Dann allerdings wird die Geschichte etwas verwirrend und das ist es, was ich an Geschichten mag. Wenn du nach dem Ende dort sitzt und darüber nachdenkst, wenn es eben auch mehr Optionen gibt und man eine gewisse Interpretationsfreiheit hat. Der Vater z.B. hätte nicht da sein können, weil er am Tag davor Selbstmord begangen hat. War er also ein Geist oder entstand er aus einer Illusion der Droge? Hat er vielleicht selbst die Theorie offengelegt als die ultimative Realität? Also ist das Ende ziemlich kryptisch, aber ich will auch nicht zu viel offenlegen. Wenn ich einen zweiten Teil mache, wird natürlich mehr im Detail erklärt.

Auf dem 01er Album hast du mit 17 Sängern zusammengearbeitet und diesmal sind es sieben. War es für dich von Anfang an klar, dass du diesmal mit weniger Sängern arbeiten möchtest und konntest du den Cast für dich gewinnen, auf den du es abgesehen hattest?

Richtig, auf "01" waren es 17 Sänger und das war einfach viel zu viel, weil man sich dadurch auch nicht so sehr mit den Charakteren identifizieren konnte. Das war auf „Human Equation“ und „Electric Castle“ z.B. anders, weil ich dort einen kleineren Cast hatte. Daher wollte ich auch zurück zum transparenten Sound von „Electric Castle“ und wenn du mit weniger Sängern arbeitest, kannst du ihr Talent auch viel eher hervorkehren. Du kannst mehr aus ihnen rausholen und das war mir vorher nicht möglich, weil es einfach zu viele Sänger waren. Außerdem wollte ich diesmal mehr Instrumentalparts einbauen, was mir sehr wichtig war. Das hatte ich auf der „Electric Castle“ Platte z.B. auch und daher denke ich wie gesagt, dass der Sound deutlich transparenter ist als auf dem letzten Album.

Irgendwie ist die Orgel das absolute Trademark-Instrument für AYREON. Jedes mal, wenn ich mir diese Parts anhöre, würde ich behaupten, dass dieses Instrument wirklich sehr wichtig ist für AYREON. Ich erinnere mich auch daran, wie du mal gesagt hast, dass du den Sound der Orgel liebst, weil sie dich an die Musik erinnert, mit der du aufgewachsen bist in den 70ern.

Auf jeden Fall! Ich bin ein Fan von dem Instrument seitdem ich es zum ersten mal gehört habe! Da gab es natürlich auch genug Inspiration von Leuten wie Jon Lord, der bei DEEP PURPLE groß wurde und der Sound der Orgel ist einfach monströs! Ich würde fast schon sagen, dass es härter klingt als die heavy Gitarren. Ich mag diesen digitalen Sound der Keyboards größtenteils einfach nicht (gibt lustige Geräusche von sich) und wenn ich den Sound von Synthesizern verwende, will ich, dass es episch, böse oder eben einfach kraftvoll klingt. Genau das bekommst du mit einer Hammond. Das Teil ist wirklich laut und wenn ich die Kopfhörer anschalte und diesen Sound höre, kriege ich einfach Gänsehaut. Daher wird es auch definitiv immer ein Part von Ayreon sein!

Das hört man gerne! Wie du schon erwähnt hast, ist der Sound an sich einfach sehr heavy und gehört einfach zu Ayreon dazu! Jedes mal, wenn ich den Sound dieses Instruments vernehme, ist es einfach...Ich kann’s kaum erklären, wie eine Art Magie!

Absolut! Der Sound wirkt sehr real und du kannst damit auch quasi deinen völlig eigenen Sound kreieren. Ein Jon Lord klingt fast schon komplex durch dieses Instrument und das ist es, was mir gefällt.

Auch wenn diesmal nicht so viele Sänger zum Cast gehören, empfinde ich dieses Lineup wirklich als das interessanteste, mit dem du uns bisher überrascht hast. Etablierte Sänger teilen sich das Mikro mit Newcomern und die Mischung gefällt mir ausgesprochen gut. Irgendwie war mir auch klar, dass wir Tommy Karevik zu hören bekommen werden, zumal er mit KAMELOT und SEVENTH WONDER natürlich auch total im Fokus steht und nebenbei ein echt toller Sänger ist. Was mich aber eigentlich interessieren würde: Schaust du dir die Charaktere deines Konzepts an und spendierst dir Gedanken, welcher Sänger den part des jeweiligen Charakters am besten ausfüllen könnte?

Ja, das ist sogar sehr wichtig! Es fängt immer mit der Musik an und dann lass ich mich von der Musik inspirieren, um eine Story aufzuziehen. Wenn ich dann sowohl Musik als auch Konzept zusammen habe, schaue ich nach möglichen Sängern. Ich schaue mir anschließend an, welcher Sänger zum Konzept passen könnte und welche Instrumentalisten die musikalischen Parts erfüllen könnten. Wenn ich die Sänger habe, weite ich die Eigenschaften der Charaktere aus. Also basieren die Lyrics auch stellenweise auf den Vocalisten. Ich brauchte eine sehr warme und große Stimme für den Psychiater, John Wetton war die perfekte Wahl. Ich brauchte eine sehr emotionale Stimme für das Wunderkind, was perfekt für Tommy ist. Ich brauchte eine sehr starke Stimme für die Mutter, Christina Scabbia war also prädestiniert! Dann brauchte ich natürlich noch einen verrückten Typen, der den Vater verkörpert und da kam Michael Mills ins Spiel. Ich benötigte das süße unschuldige Mädchen, wofür Sara Squadrani perfekt war. Ich brauchte diese große autoritäre Stimme des Lehrers, wofür JB von GRAND MAGUS infrage kam und die am besten besetzte Rolle des Casts ist definitiv Marco Hietala, der den bösen Charakter in der Story spielt. Also passen die Charaktere sehr gut zu den Sängern!

Eine weitere Frage zu den Vocalisten. Ist dir jedes mal klar, mit welchen Sängern du zusammenarbeiten möchtest oder schaust du dir an, was aktuell in der Rock/Metal Szene so passiert und wer für dich interessant sein könnte?

Es ist eher die Kombination dreier Listen. Die erste Liste beinhaltet Namen von Sängern, mit denen ich quasi aufgewachsen bin. Große Namen wie James Dio oder Robert Plant z.B. Daraus besteht also die erste Liste. Die zweite Liste besteht eher aus Sängern, die heutzutage sehr populär sind. Und die dritte beinhaltet Sänger, die noch nicht so bekannt sind heutzutage. Es ist also eine Kombination aus diesen drei Dingen.

Letztes Jahr hast du deine erste Soloplatte veröffentlicht und da mir deine Vocals schon auf den vergangenen zwei AYREON Alben sehr gut gefallen haben, war das eine sehr nette Überraschung! Wie war diese Erfahrung für dich?

Ich liebe das Soloalbum, weil es so persönlich ist! Zwar ist es ein Science Fiction Konzept, aber da steckt sehr viel persönliches drin, viele Ideen von mir. Natürlich konnte ich es selbst einsingen, dementsprechend auch viel von mir reinpacken. Ich sage ja immer, dass ich kein technisch guter Sänger bin, aber ich habe die Möglichkeit, es im Studio gut klingen zu lassen. (lacht) Ich kann mich nicht mit Sängern wie Tommy Karevik messen, der wirklich ein Wunderkind in Sachen Gesang ist. Es ist ja fast schon unheimlich, was er mit seiner Stimme anstellen kann und dazu wäre ich nie in der Lage! Aber es hat mir alles in allem sehr viel Spaß bereitet und ich verspüre definitiv die Lust, ein weiteres Soloalbum zu machen in Zukunft!

Du hast in der Vergangenheit mit so extrem vielen Sängern zusammengearbeitet und da kommen einige große Namen zusammen, wenn ich da z.B. an Bruce Dickinson, Fish oder Hansi Kürsch denke. Gibt es da den einen Vocalist, wo du dachtest, dass sich dir nie die Möglichkeit offenbaren würde, mit ihm zu arbeiten und gibt es vielleicht sogar noch ein paar Sänger, wo du es in Zukunft gern ändern würdest?

Na klar! Ich habe hier eine Liste, die ca. 100 Leute umfasst, mit denen ich musikalisch aufgewachsen bin und ich hab ja schon erwähnt, dass es da Leute wie Robert Plant gibt, mit denen man gern arbeiten würde, quasi mit deinen persönlichen Helden, wo man selbst gerade mal 12 Jahre alt war. Da werden also Kindheitsträume wahr, so wie z.B. auch auf dem aktuellen Album, wo ich mit John Wetton arbeiten konnte! Dasselbe gilt aber auch für die Instrumentalisten, es war für mich auch ganz groß, mit Keith Emerson arbeiten zu dürfen! Das ist einfach fantastisch!

Die letzte Frage für heute! Das AYREON Album wird bald veröffentlicht, aber was sind deine Pläne für die Zukunft? Ich denke mal, dass du dir erstmal eine Pause gönnen wirst, da die Arbeit an dieser Platte sicherlich geschlaucht hat und dir auch viel Promotion Kram bevorsteht. Was können wir in Zukunft erwarten? Vielleicht ein drittes STAR ONE Album oder eventuell sogar was völlig neues?

Die Sache ist die, ich plane eigentlich nie wirklich etwas. Ich gehe einfach ins Studio, arbeite an etwas und weiß nicht, worin es enden wird. Selbst wenn ich es plane, könnte es ein neues AYREON Album sein oder ein Soloalbum oder doch STAR ONE und dementsprechend weiß ich auch wirklich nie, was als nächstes kommt! Wie du schon sagtest, habe ich sehr viel Arbeit in das neue AYREON Album gesteckt, viele Emotionen, viel Kreativität. Das bedeutet, dass ich zum jetzigen Zeitpunkt erstmal sehr leer bin und zunächst erstmal warte, bis die Inspiration mich wieder einholt. Erst dann begebe ich mich ins Studio und gucke was ich mache, weiß aber nie, in welchem Projekt es enden wird. Es wird definitiv kein neues AYREON Album sein, es wird wieder ein Kontrast zu dem sein, was ich jetzt gemacht habe. Es wird daher ein eher simples Album, vielleicht nur mit einem Sänger, echt keine Ahnung!

Okay! Das war’s dann auch schon! Ich bedanke mich recht herzlich für deine Zeit und wünsche dir alles erdenklich gute mit dem neuen Album “The Theory of Everything”.

Vielen dank, dass ich das Interview machen durfte! Es war eine große Freude, mit dir zu reden und ich hoffe, dass man das in Zukunft nochmal wiederholen kann!

Das lässt sich bestimmt einrichten!


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