Interview: Carcass - Jeff Walker

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Ich kann verstehen, dass die Goregrinder das Album hassen. Es ist ja auch nicht für sie gemacht.

CARCASS gehört zu den wichtigsten Bands der Death-Metal-Geschichte. Anlässlich des fulminanten Comebacks in Form von "Surgical Steel" zerrten wir das schwarzhumorige Mastermind Jeff Walker vor's Stormbringer-Mikro, um mit ihm über veränderte Zeiten, Generationenkonflikte und bereits das nächste Album zu sprechen.

Veröffentlicht am 04.09.2013

Jeff, wie oft hast du bislang den Satz "'Surgical Steel’ ist das verdammt beste Album des Jahres” gehört?

Zweimal (lacht).

Gut, jetzt hörst du es zum dritten Mal – dieses Werk gehört auch dementsprechend gewürdigt! Wie denkst du über das Album eine Zeit lang nach dem Aufnahmeprozess?

(überlegt lange) Eigentlich nehme ich das mit gemischten Gefühlen auf, denn wir haben 15 Songs aufgenommen und es durften nur elf auf das Album. Aber natürlich bin ich glücklich damit. Auch ich glaube, dass “Surgical Steel” unser bislang bestes Album ist. Es passt perfekt in unseren Backkatalog, obwohl es nicht wie irgendein anderes unserer Alben klingt. Auch die bisherigen Kritiken waren hervorragend. Ich kann auch total verstehen, warum die Goregrinder das Album hassen, schließlich ist es auch nicht für sie gemacht. Eigentlich freue ich mich auf ein Interview mit einem Journalisten, der mir ein negatives Feedback gibt – das wäre zurzeit wohl lustiger (lacht).

Ich glaube, darauf kannst du noch lange warten.

Ich weiß es nicht – vielleicht übernimmt das ja ein Deutscher. Die sind meistens am strengsten (lacht).

Was machst du mit den vier Songs, die es nicht auf das finale Album geschafft haben?

Jeder dieser Songs wird früher oder später an die Oberfläche gespült werden. Ein Song kommt auf die japanische Albumversion, einer auf das Special für das amerikanische “Decibel”-Magazin und so weiter. Vielleicht machen wir auch mal eine EP mit diversen Bonus-Schmankerl, aber das ist alles noch nicht in Planung. Jedenfalls werdet ihr alle Songs hören können – in welcher Weise auch immer.

Viele Leute sehen “Surgical Steel” als ideale Mischung aus euren alten Alben “Necroticism”, “Heartwork” und “Swansong” – siehst du das genauso?

Eigentlich geben diese Leute nur das wieder, was ich schon von Anfang an gesagt habe. Möglicherweise könnte man das auch wirklich so bezeichnen, obwohl ich der Meinung bin, dass wir hier Elemente von all unseren fünf alten Alben haben. Die “Swansong”-Elemente sind vielleicht weniger vorhanden. Am Ende des Tages sind wir halt einfach CARCASS und das bedeutet, dass Bill (Steer, git. – Anm. d. Verf.) und ich die Songs schreiben – wie immer. Wir machen einfach was wir wollen und das ist das neueste Ergebnis davon.

Habt ihr nicht einige Gäste auf dem Album eingeladen?

Ja, unser alter Drummer Ken Owen hatte natürlich auch einen großen Einfluss auf unseren Songwriting-Prozess und er sorgt auch für einige Backing Vocals auf dem Album. Wir haben ihn so gut wie möglich eingebaut, schließlich war er immer schon ein entscheidender Bestandteil von CARCASS.

Wie steht es um Ken’s Gesundheit?

Es ging ihm immer gut. Was du fragen willst ist wohl, ob er sich völlig von seiner Hirnoperation aus dem Jahr 1999 erholt hat und die Antwort darauf ist nein. Er hat ein relativ kurzes Gedächtnis und ist – obwohl er physisch ganz fit ist – verdammt schnell sehr müde. Er hatte auch einen Herzinfarkt. Er wird nie mehr der gleiche sein wie früher.

Die CARCASS-Reunion fand 2007 statt. Was war damals ausschlaggebend, nach elf Jahren Abwesenheit wieder loszulegen?

Die Reunion hat mit dem Album jedenfalls nichts zu tun. Zusammengekommen sind wir damals, weil man bei uns für ein paar Reunion-Shows angefragt hat. Damals dachte keiner von uns daran, dass das über ein paar Konzerte hinaus gehen würde. Wir haben dann immer wieder Angebote gekriegt und einfach weiter gemacht. Ein entscheidender Punkt war im August 2010 erreicht, als uns Michael Amott klargemacht hat, dass er keine Zeit mehr für CARCASS hätte. Das war eigentlich recht unnötig, weil wir damals gar keine Gigs geplant hatten. Ich habe mein Interesse an ein Weitermachen auch nicht wirklich ausgedrückt und ohne Bill wäre da wohl auch nichts weiter passiert.

Was ist dir in den elf Jahren ohne CARCASS am meisten abgegangen?

Nichts. Das Leben lief ja ganz normal weiter und ich war sehr glücklich damit. Ich habe es genossen, in verschiedenen Bands live zu spielen – so wie etwa seit 2006 bei BRUJERIA. Ich habe dann schon gemerkt, je länger wir mit CARCASS nichts gemacht haben, umso höher war der Zuspruch der Leute, uns wieder irgendwie auf die Bühne zurückzukriegen – und gerade eben das Livespielen mit BRUJERIA hat mir auch wieder den Spaß auf der Bühne zurückgegeben. Ich habe dann überlegt und bin zum Schluss gekommen, dass ich nicht das ausschließliche Recht habe, aus Sturheit nichts weiterzumachen, da CARCASS vielen Leuten sehr viel bedeutet.

Reunion-Bands wie CARCASS sagt man sehr schnell nach, dass es nur um das Geld gehen würde. Machen dich solche Meldungen wütend?

Nein, ich kann das ja sogar nachvollziehen. Lass uns doch ehrlich sein – auch wir haben natürlich Geld für die Reunion-Shows bekommen. Was ich aber schon allen Leuten, die uns diesbezüglich beschuldigen sagen möchte ist, dass wir einen beträchtlichen Teil aller Einnahmen an Ken Owen und seine Krankheitsbehandlung weitergeben. Dieses Geld hat ihm geholfen, sein eigenes Haus zu kaufen und damit etwas mehr Sicherheit für die Zukunft zu erlangen. Wir haben uns aber schon grundsätzlich dem Spaß wegen wieder zusammengefunden. Gut, hätte uns jemand ein paar Hundert Pfund für einen Straßengig gegeben, hätten wir wohl nein gesagt, aber es war allein schon toll, nach den ersten Gigs dieses großartige Feedback zu bekommen. Wir hatten in unseren Hochzeiten aber auch nie die Chance, solche Festivals zu spielen. Damals gab es das Dynamo in Eindhoven und das wars auch schon wieder. Es gab dann schon so etwas wie das spanische Monsters Of Rock, aber das war ein Mainstream-Festival – da hätten CARCASS niemals spielen können. Die Möglichkeit ein Publikum wie jetzt zu lukrieren, hatten wir damals gar nicht.

Als ihr wieder auf die Bühne zurückgekehrt seid, wollte Bill keinesfalls ein neues CARCASS-Album machen. Wie hat sich das über die Jahre geändert?

Das müsstest du ihn selbst fragen. Bevor wir die Band aufgelöst haben, hatten wir noch einige unveröffentliche Riffs im Proberaum eingespielt. Irgendwie entwickelten sich dann aber sehr viele Abwehrhaltungen dagegen und eine der größten ging von mir selbst aus. Bill kam wohl auf den Geschmack, als wir eine sehr lange Livepause einlegten und er die Zeit hatte, all das zu reflektieren. Selbst als Bill bei ANGEL WITCH und GENTLEMANS PISTOLS gespielt hat, kam er mit Riffs um die Ecke, die nach CARCASS klangen. Bill ist für mich so eine Art Schläfer, der aus irgendeinem Grund wieder reaktiviert wurde.

“Surgical Steel” ist das erste Album seit 17 langen Jahren. Spürt man da nicht unheimlich viel Druck beim Songwriting-Prozess?

Nein, warum denn auch? Wir haben das ja alles total geheim und ohne Meldung an die Öffentlichkeit gemacht. Bis auf einen ganz kleinen Kreis befreundeter Journalisten und ein paar Musikern wie den Jungs von THE BLACK DAHLIA MURDER wusste kein Mensch davon, dass wir an einem neuen Album schrauben. Es gab noch nicht mal ein Label – also auch null Druck.

Aber habt ihr nicht einen innerlichen Druck gehabt, dass eure Fans das neue Material vielleicht nicht annehmen würden?

Naja, wenn du ein Künstler bist, brauchst du schon eine gewisse Dosis an Selbstsicherheit und Vertrauen in dich selbst. Wir sind auch nicht dumm und wussten von Anfang an, dass wir kein zweites “Swansong” machen würden. Es war eigentlich einfach – wir gehen in den Proberaum und Bill zeigt mir ein Riff. Ganz wie früher. Es steht mir nicht an, meine Songs als brilliant zu bezeichnen, das entscheiden die Hörer. Aber als Bill mit Riffs ankam wusste ich sofort, dass die wirklich gut sein würden.

Wann habt ihr angefangen, die neuen Songs zu schreiben?

Das müsste so im August oder September 2011 gewesen sein.

Und es sind viele alte und neue Ideen auf dem Album vermischt?

Definitiv. Wir haben bis zum Boden des Fasses gegriffen, um wirklich alte Riffs und Song-Ideen einzubauen und umzusetzen. Diese Riffs waren für mich wie eine Offenbarung, weil Bill sie mir nie vorgespielt hat. Da sind Ideen von Tapes dabei, die viele Jahre am Buckel haben. Andererseits sind etwa 80 Prozent des Materials total neu. Diese Vorgehensweise ist aber nichts Neues, denn wir haben schon früher immer Riffs des jeweils vorhergehenden Albums verwendet – das hält die ganze Sache interessanter.

War Michael Amott eigentlich noch in den Songwriting-Prozess eingebunden?

Nein. Wie schon gesagt hat sich Michael nach unserer letzten Show 2010 in Finnland total ausgeklinkt und mit dem Album nichts mehr weiter am Hut.

War es für euch schwierig als Michael die Band verlassen hat?

Nein.

Wie seid ihr dann mit eurem doch sehr jungen Schlagzeuger Daniel Wilding in Berührung gekommen?

Wir waren 2008 auf Tour in den USA und er war dort mit ABORTED als Support von uns unterwegs. Wir haben ihn vorspielen lassen und der Junge war damals 19 oder so. Er hat uns aber total weggeblasen und als das mit dem Album konkreter wurde, war Bill und mir klar, dass wir mit Daniel arbeiten möchten. Da er auch Engländer ist, macht das auch die Sache mit den Proben viel einfacher.

Spürst du da zwischendurch keine Generationenkonflikte in der Band?

Eher mit unserem zweiten Gitarristen Ben Ash. Die Ironie dabei ist ja, dass Ben etwa zehn Jahre älter ist als Daniel (lacht). Ben führt sich wirklich viel kindischer auf, als es Daniel je könnte. Ansonsten bringt er genug Erfahrung mit. Ich meine – er spielte bei ABORTED, tourte mit HEAVEN SHALL BURN, war schon in den USA und Südamerika unterwegs – das hat schon Hand und Fuß. Bill und ich sind vielleicht 20 Jahre älter, aber das macht jetzt auch keinen großen Unterschied.

Seid ihr eigentlich noch immer solch verrückte Partytiere wie früher, wenn ihr "on the road" seid?

Es war sicher leichter als wir jünger waren und mehr gesoffen haben. Mittlerweile muss ich das Trinken ja auch schon für die ganze Band übernehmen (lacht).

Zurück zu “Surgical Steel” – das Album hat auch einen wuchtigen, sehr klaren Sound. War Produzent Colin Richardson eure erste Wahl?

Auf jeden Fall – keiner nahm so viel Rücksicht auf unsere Belange wie er.

Im November seid ihr dann mit den schwedischen Chartbreakern AMON AMARTH unterwegs und kreuzt auch die Gasometer-Hallen in Wien. Was kann man sich von diesem Package erwarten?

Das wird verdammt groß und eine sehr theatralische Nacht. Vor allem AMON AMARTH warden mit einer fetten Bühnenshow aufwarten, was gleichzeitig bedeutet, dass wir die intimere Band sein werden (lacht). Ich weiß nicht, was die Tickets kosten werden, aber es sind drei starke Bands im Billing und Spaß ist garantiert. Da es nicht unsere Tour ist und wir nicht headlinen, können wir das Ganze noch lockerer sehen. Und es ist natürlich aufregend für uns, uns mit einem so starken Headliner zu messen – Abend für Abend.

Hast du eigentlich jemals daran gedacht, wieder etwas unter JEFF WALKER UND DIE FLUFFERS zu machen?

Nein, wie lange ist das her? Sieben Jahre? Das Projekt ist jedenfalls in einer Schachtel versperrt.

Sind vielleicht andere Projekte außerhalb der Death-Metal-Szene geplant?

Auch nicht, nein. Der Fokus liegt total auf CARCASS. Sieh mal – die Leute und auch wir leben von der Vergangenheit von CARCASS. Bill und ich sind nunmal die Band. Ich bin Jeff Walker, Bassist und Sänger von CARCASS und ich liebe es, diese Death-Metal-Vocals in meiner Band einzusetzen. Zwischendurch werde ich gefragt, ob ich wo für Gastbeiträge mitmachen kann und das ist total okay. Du musst sehr motiviert sein und gute Ideen haben, um etwas auch gut umzusetzen. Das gilt für die Songs, für die Lyrics, ja, sogar für ein Albumcover. Dafür brauchst du Kraft und Konzentration und solange ich Spaß daran habe, werde ich das auch weiter so machen. Es wird auch definitiv ein weiteres CARCASS-Album geben.

Du befindest dich jetzt mitten in deinen 40ern und warst gleichsam Mitbegründer des Goregrind als auch des melodischen Death Metals. Wie siehst du diese Meilensteine im Rückspiegel?

Ich weiß nicht, Leute außerhalb der Band haben uns immer in diese Schubladen gesteckt. Das ist schon cool, aber wir haben auch keine Credits als Erfinder dieser Sachen bekommen. Auch diese Kategorisierungen von “Reek Of Putrefaction” oder “Symphonies Of Sickness” sind lächerlich – wir hatten immer Melodien in unserem Sound. Prinzipiell bin ich natürlich schon etwas stolz auf diese Vorreiterrolle, aber im Endeffekt ist mir lieber die Leute erinnern sich daran, dass wir eine der ersten großen Bands in den 80er-Jahren waren, die diese Art von Musik spielten.

Glaubst du nicht, dass du so etwas wie der Lemmy der Death-Metal-Szene werden könntest? Kultpotenzial besitzt du ja schließlich zuhauf.

(lacht) Das würde mich freuen, er ist ja ein toller Kerl, aber ich bin mit Sicherheit nicht cool genug.

Wir werden sehen. Abschließend noch – was sind die nächsten Schritte. Welche Pläne hat Jeff Walker persönlich und mit CARCASS?

Das ist untrennbar miteinander verbunden. Wir sind jetzt dann in Europa und den Staaten unterwegs, kommen dann auch live nach Russland und vielleicht sogar nach Japan. Und danach geht’s schon mit AMON AMARTH weiter. Solange es Spaß macht, werden wir da auch weitermachen. Es gibt nichts Schlimmeres, als die Gitarre auf einer Bühne auszupacken, nur weil du vertraglich dazu verpflichtet bist und vielleicht gar nicht mehr magst – das wird es bei uns nicht mehr geben. Du musst einfach lieben was du tust, sonst hat das keinen Sinn.

Und du hast auch schon von einem weiteren CARCASS-Studioalbum gesprochen.

Ja, wir haben auf jeden Fall einen Zwei-Alben-Deal bei Nuclear Blast unterzeichnet. Ich kann nicht garantieren, wann wir ein neues Album machen werden. Wenn ich mir “Surgical Steel” anhöre merke ich Dinge, die ich auf jeden Fall besser machen kann. Jede Band, die glaubt, sie hätte ihr ultimatives Meisterwerk geschaffen, sollte auf der Stelle aufhören. Bei uns ist das nicht der Fall.

Vielleicht war “Surgical Steel” ja wirklich schon das Meisterwerk?

Dann sollten wir vielleicht auch wirklich wieder aufhören?

Nein, das würde ich noch nicht machen. Danke für das Gespräch, Jeff.


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