GHOST - Das "Impera" Gangbang-Review

Wenn ich an meine ersten Live-Erfahrungen mit den okkulten Geheimniskrämern GHOST zurückdenke (2013 im Vorprogramm von IRON MAIDEN und ein Jahr später in einer milden Frühsommernacht bei Rock am Ring), erinnere ich mich in erster Linie an eine obskure Truppe maskierter Teufelsprediger, deren theatralische Darbietung gleichermaßen verstörend wie einnehmend war. Und dessen spirituelles Zentrum, damals unter dem Banner "Papa Emeritus II" firmierend, mit seinen spätpubertären Ansagen zum Nebenhighlight der Show wurde. Zugegeben, wirklich intensiv habe ich die schon längt zur Kult-Truppe herangereifte Band seitdem nicht verfolgt – umso überraschender erscheint mir die bis dato vollzogene Wandlung, die weit über die Durchnummerierung der Papas hinausgeht und mit dem neuesten Werk "Impera" seinen bisherigen Höhepunkt findet.

Vom Saulus zum Paulus oder vielleicht doch nicht?

Beim Antesten neuer Songs traf mich regelmäßig der Schlag, weil ich hinter dem eingängigen Melodic Rock neuer Tage alles erwartet hätte, nur nicht GHOST. Zumindest musikalisch erscheint ist der neue Stoff nun wirklich nicht mehr okkult…oder düster…ja noch nicht einmal unfreundlich. Doch beim obligatorischen Diskographie-Check peitscht einem der rote Faden im kreativen Schaffen der Geister offensiv auf die Arschbacken. Denn wie schon angesprochen konzentriert sich der kompositorische Kern des Herrn Forge inzwischen klar auf melodische Rockmusik mit gelegentlichen Heavy-Metal-Einflüssen, die zwar in keinster Weise mehr schocken oder auch nur für ein seichtes Frösteln auf der Haut sorgen können, die aber dafür in puncto Earcatcher und Hörvergnügen auf ganzer Linie abräumen. Denn auch, wenn die Tonkunst GHOSTs anno 2022 nicht mehr wirklich der Gipfel der Originalität ist und bis auf gelegentliche Orgelklänge und das spektakuläre Äußere der Bandmitglieder nicht mehr viel vom Urkonzept in sich trägt, so ist sie doch für das, was sie ist und erreichen will, außerordentlich gut gemacht.

So präsentieren uns GHOST auch auf "Impera" wieder eine lange Reihe hammermäßiger Refrains, bombiger Riffs und Soli und ein beachtliches Gespür für Catchiness, das man getrost als gehobene Kompositionskompetenz bezeichnen darf…und muss. Das Eröffnungsduett aus "Kaisarion" und "Spillways" bspw. schlägt kraftvoll in die Kerbe der oldschool-Glukose-Aficionados: feines 80ies Flair, Hollywood-taugliche Melodien und eine Konzentration an kompositorischem Zucker, mit dem man ohne Mühe die Radiowellen und Stadien dieser Welt erobern kann. "Darkness At The Heart Of My Love" treibt das Ganze auf die Spitze – doch so gerne ich hier schreiben würde, dass GHOST sich hier auf den Kurs "Heavy Petting mit Radiopop und Disney-Soundtrack" begeben, so muss ich gerade dieser Nummer ihre wahrlich saumäßigen Hooks anerkennen. Und gegen den obligatorischen Kreislaufkollaps wegen Überzuckerung zaubern GHOST in "Call Me Little Sunshine", "Hunter’s Moon" oder "Twenties" noch den ein oder anderen raubeinigen Knusperflake in ihren auralen Milchshake und wissen auch damit zu punkten.

"(…) aber Herrscher, die zu viel wollen, tendieren dazu nach einer Weile zu verschwinden" – Tobias Forge

Wie man es also dreht und wendet – Tobias Forge respektive GHOST macht man in Sachen Songwriting nichts vor. Das Konzept der frühen Tage hat sich in gewisser Weise abgenutzt und selbst überholt, ist im Angesicht der dargebotenen Musik obsolet oder zumindest zum alleinigen Marketing-Gag geworden. Der mystische Touch von "Opus Eponymous" ist verflogen, die Kanten von "Infestissumam" geschliffen. Seit "Meliora" sind GHOST permanent eingängiger, um nicht zu sagen "süßer" geworden und haben den von Beginn an vorhandenen Melodic Rock zur Kernkompetenz ausgebaut. Schocken können GHOST nicht mehr, aber begeistern definitiv. Bleibt nur zu hoffen, dass der Herrscher dieses besonderen Haufens nicht eines Tages zu viel will.

4,0 von 5,0 Punkten (Lord Seriousface)


Inhaltsverzeichnis:

Seite 1: Einleitung
Seite 2: Ernst Lustig
Seite 3: Hans Unteregger
Seite 4: Lisi Ruetz
Seite 5: Lord Seriousface
Seite 6: Richard Metfan
Seite 7: Fazit


WERBUNG: Hard
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