ENSIFERUM - das 'Thalassic' Gangbang-Review

Wenn man eine seiner absoluten Lieblingsbands rezensiert, die vor fast 20 Jahren ihr erstes Album veröffentlicht und danach viele Höhen, aber auch einige Tiefen durchlebt hat, muß es erlaubt sein, etwas weiter auszuholen.

Anfang bis Mitte der 90er Jahre dominierten vor allem ENSLAVED und EINHERJER den Viking Metal, deren Sound aus einem Grundgerüst von typischem skandinavischen Black Metal der damaligen Zeit bestand, das mit BATHORY Versatzstücken aus der „Hammerheart“-Phase, dezenten folkloristischen Elementen und gelegentlichem klaren Gesang kombiniert wurde. Doch zum Ende des Jahrzehnts traten Bands wie MITHOTYN, THYRFING, VINTERSORG und FALKENBACH in Erscheinung und veränderten die musikalische Ausrichtung des Genres maßgeblich. Weg vom harschen, rauen Black Metal, hin zu viel mehr Melodie, Eingängigkeit und heroischem Bombast. Speziell THYRFINGs „Valdr Galga“ (1999), MITHOTYNs „Gathered Around The Oaken Table“ (1999), VINTERSORGs „Till Fjälls“ (1998) und „Magni Blandinn Ok Megintiri“ von FALKENBACH (1998) führten den Viking Metal in eine neue Zeit. Der folkloristische Anteil des Sounds wurde stark erhöht, die Keyboards gewannen drastisch an Bedeutung (THYRFING), und die Parts mit klarem, erhabenen Männergesang (FALKENBACH, VINTERSORG) und epischen Chören (MITHOTYN) füllten weite Teile der Stücke aus. Nichtsdestotrotz war der Black Metal nach wie vor die Basis des Viking Metal.

Und dann erschien 2001 das selbstbetitelte Debüt von ENSIFERUM, das für den Rezensenten auch heute noch eine (nach den vorgenannten Pionieren) weitere nachhaltige Revolutionierung des gesamten Viking/Pagan Metal Genres darstellt. Die Finnen orientierten sich musikalisch wesentlich mehr am folkloristisch geprägten Melodic Death Metal ihrer Landsleute AMORPHIS. Die Black Metal Elemente fanden nur noch vereinzelt Verwendung („Abandoned“), lediglich Yaris Shouts erinnerten an den alten Stil. Zudem avancierten Stücke wie „Token Of Time“, „Guardians Of Fate“, „Little Dreamer“, „Treacherous Gods“, "Eternal Wait“ und „Into Battle“ (also de facto das komplette Album!!!) durch ihre kompromisslose Eingängigkeit, gepaart mit diesem unglaublichen Klar- und vor allem Chorgesang, den man in dieser Intensität bis dahin so noch nicht gehört hatte, direkt nach dem ersten Durchlauf zu unsterblichen Hymnen für die Ewigkeit.

Aber wie so oft, wenn eine junge, aufstrebende Band mit ihrem Erstwerk eigentlich schon das perfekte Album erschafft, ist die Kehrseite der Medaille, dass man dadurch die Messlatte so hoch legt, dass man selbst in der Folge zwar in der Lage ist, das gleiche Niveau nochmals zu erreichen, dieses aber kaum mehr ein weiteres Mal zu toppen (ähnlich wie EQUILIBRIUM mit „Turis Fratyr“). Und von diesem Schicksal blieb auch ENSIFERUM nicht verschont. Der Zweitling „Iron“ war beileibe kein schlechter Nachfolger, aber wenn der fünfte Track der Scheibe der erste ist, der wirklich zündet („Tale Of Revenge“), dann ist das schon ein deutlicher Qualitätsrückschritt, auch wenn „Lost In Despair“, „Into Battle“ und „Lai Lai Hei“ absolut die Qualität des Debüts erreichen, und mit „Tears“ eine traumhafte Akustik-Ballade sowie mit „Ferrum Aeternum“ eins der besten ENSIFERUM-Intros aller Zeiten mit an Bord ist.

Das finnische Wikingerschiff begab sich also in unsicheres Fahrwasser. Dann ging mit Yari Mäenpää auch noch der Steuermann von Bord, doch zum Glück fand man mit dem NORTHER-Frontmann Petri Lindroos einen adäquaten Ersatz. Und auf dem dritten Output machten ENSIFERUM wieder sehr viel richtig. Der einzige Nachteil an „Victory Songs“ ist, daß das Album mit „Wanderer“ und „Victory Song“ zwei derartige Übersongs enthält, daß die restlichen, wirklich sehr guten Stücke, einfach etwas verblassen müssen. Also tat man für den vierten Release das einzig Richtige und erhöhte auf „From Afar“ konsequent die Hitdichte. Und so machten der Titelsong, „Twilight Tavern“, „Stone Cold Metal“, „Smoking Ruins“ sowie die beiden überlangen Tracks „Heathen Throne“ und „The Longest Journey (Heathen Throne Part II)“ „From Afar“ zum bis dato zweitbesten ENSIFERUM-Werk.

Allerdings hat auch die Diskografie der Finnen einen markanten Schwachpunkt, und der heißt „Unsung Heroes“. Können die ersten drei Stücke „In My Sword I Trust“, „Unsung Heroes“ und „Burning Leaves“ noch uneingeschränkt begeistern, herrscht in der Folge vor allem gepflegte Langeweile vor. Keiner der restlichen Songs kommt über das Mittelmaß hinaus, und so war das fünfte ENSIFERUM-Album für die meisten Fans eine herbe Enttäuschung.

Doch echte Wikinger geben natürlich nicht auf. Drei Jahre nach „Unsung Heroes“ meldeten sich ENSIFERUM mit einem echten Kracher zurück. „One Man Army“ hieß der Befreiungsschlag, der im wahrsten Sinne des Wortes aus allen Rohren feuerte und mit „Axe Of Judgement“, dem Titelsong und „Two Of Spades“ eine wütende Hit-Breitseite nach der anderen zündete. Dazu gesellten sich große Hymnen wie „Warrior Without A War“, „Heathen Horde“, „Cry For The Earth Bounds“, „My Ancestors' Blood“ und „Descendants, Defiance, Domination“, die das Album zu einem weiteren ENSIFERUM-Meilenstein werden ließen.

Die letzte Veröffentlichung aus dem Jahr 2017, „Two Paths“ fiel dagegen wieder etwas durchwachsener aus. Zwar hatte man mit „For Those About To Fight For Metal“, „Feast With Valkyries“ oder „I Will Never Kneel“ einige herrlich oldschoolige Knaller an Bord und mit Akkordeon-Queen Netta Skog eine musikalische Bereicherung gewonnen. Aber „Two Paths“ enthält eben auch einigen Füllstoff und schwächelt vor allem beim männlichen Klargesang. Bezeichnend dafür ist, daß die beiden Alternativ-Versionen von „God Is Dead“ und „Don’t You Say“ mit Growl/Kreischgesang wesentlich mehr überzeugen konnten als die Originale.

Und nun also „Thalassic“. Ich gebe zu, mir war ein wenig bange beim Gedanken an das neue Album. Wo würde die Reise hin gehen? Jetzt, nach dem 20. Durchlauf kann ich Entwarnung geben und vor der detaillierten Analyse des achten ENSIFERUM Longplayers schon mal zwei Dinge verraten: Zum einen ist „Thalassic“ ein richtiger Hammer geworden, zum anderen geht es absolut back to the roots – back to the beginning!

Seit „Iron“ sind die Finnen bekannt für ausufernde, episch-folkloristische Intros. Und das dreiminütige „Seafarer‘s Dreams“ reiht sich nahtlos in diese Tradition ein. Allerdings ist dieses Intro größer, mächtiger, orchestraler und bombastischer als alles bisher da Gewesene im ENSIFERUM Backkatalog. Was für ein opulenter Einstieg! Und dann sticht das Schiff in See, und zwar in Höchstgeschwindigkeit! Ganz in der Tradition der alten Battle-Songs macht „Rum, Women, Victory“ NULL Gefangene! Und der neue Keyboarder Pekka Montin gibt hier neben dem Tastendebüt auch gleich seinen absolut gelungenen Einstand in Sachen Klargesang. Welch ein riesiger Schritt nach vorn gegenüber dem Vorgänger, der genau in diesem Punkt seine größten Defizite hatte! Weiter geht es mit dem heroischen, fast schon klassischen Heavy Metal Track „Andromeda“, der vor allem von einer typischen super eingängigen, melodischen ENSIFERUM-Hookline und dem exzellenten Wechselgesang zwischen Petri und Pekka lebt.

Dann tönt „The Defence of the Sampo“ aus den Boxen, und da ist er, der erste Gänsehaut-Chor und zugleich der erste absolute Album-Höhepunkt auf „Thalassic“. Während ich diese Zeilen tippe, läuft mir ein wohliger Schauer nach dem anderen über den Rücken! ENSIFERUM in Bestform – man fühlt sich wirklich in die frühen 2000er zurückversetzt. Im letzten Drittel gibt es während eines Akustik-Parts eine wundervolle Verneigung vor dem genialen Intro des zweiten Albums, und die beschert gleich die nächste Gänsehaut.

So weit so gut. Aber haben ENSIFERUM damit ihr Pulver vielleicht schon verschossen? Bereits mit den ersten zehn Sekunden des nächsten Stückes „Run from the Crushing Tide“ führt das mittlerweile rein maskulin agierende Suomi-Quintett derartige Befürchtungen direkt ad absurdum. Denn hier kracht dem Hörer vielmehr eine weitere Hymne um die Ohren! Und es wird noch besser! Denn zumindest für den Rezensenten folgt mit „For Sirens“ das zweite von drei exorbitanten Album-Highlights! Eine zum Sterben schöne Melodie, absolute Killer-Midtempo-Riffs, mitreißende Drums, einmal mehr grandioser Wechselgesang und ein Chorus für die Ewigkeit!

Das getragene, epische „One With The Sea“ steht ganz in der Tradition von unsterblichen Meisterwerken wie „Eternal Wait“, „Lost In Despair“ oder „Wanderer“. Und es reiht sich ohne Abstriche in diese Reihe der Altvorderen ein. Großartig!

Aber Viking Metal ist ja alles andere als nur schwermütig. Neben den erhabenen epischen Nummern ist immer Platz für beschwingte, folkloristisch dominierte Hymnen. Und so kommt „Midsummer Magic“ lockerflockig und fröhlich daher, ein Stück, das sich vor keinem KORPIKLAANI-Trinklied verstecken muß und das streckenweise lupenreine Irish Folk Elemente beinhaltet. Definitiv ein kommendes Live-Highlight auf der Setlist!

Der Longtrack und Albumcloser „Cold Northland (Väinämöinen Part III)“ ist der absolut ebenbürtige Nachfolger von „Old Man“ und „Little Dreamer“ vom Debüt und markiert für mich den dritten Album-Höhepunkt. Selten haben ENSIFERUM eine derartige epische Breite geschaffen, wie hier. Obwohl die Instrumentierung eher schlicht und nicht bombastisch ist, versprüht der Song eine Atmosphäre der Erhabenheit, die bei jedem Hören aufs Neue zu begeistern vermag. Grandioser Abschluss eines großartigen Albums.

„Merille Lahteva“, der erste Bonustrack ist mal wieder einer dieser rein akustischen Folkssongs, die ich im Lauf der ENSIFERUM Historie sehr zu schätzen gelernt habe. Der zweite Bonustrack schließlich, ist eine Coverversion des Songs „I'll Stay by Your Side“ der dänischen Popgruppe THE LOLLIPOPS aus dem Jahr 1965. Hat jetzt mit Viking Metal absolut zero zu tun. Aber gerade der Gesang von Pekka Montin macht aus der Hommage eine echte Metal-Ballade, die mit jedem Durchlauf wächst.

Fazit:
Vor dem ersten Hören hatte ich wirklich ein wenig Bammel, was da auf mich als ENSIFERUM-Fan der ersten Stunde zukommen würde, mit dem achten Studioalbum der Finnen. Aber bereits das Intro konnte meine Befürchtungen zerstreuen. Und danach war tatsächlich jeder Song ein Treffer! Mit „Thalassic“ finden ENSIFERUM zurück zu alter Stärke und erreichen seit langer Zeit einen Qualitätslevel, mit dem ich definitiv nicht mehr gerechnet hatte. Zwar finde ich es immer noch schade, daß Emmi nicht mehr von der Partie ist, aber Sänger- und Tasten-Frischling Pekka ist ein unglaublicher Zugewinn für die Band und einer der Grundpfeiler für die Qualität des Albums. Dazu gesellen sich exzellentes Songwriting und spielerische Finesse der gesamten Instrumentalfraktion. Petri liefert seine vielleicht beste Gesangsleistung unter dem Banner von ENSIFERUM ab. Und auch generell haben die Finnen soviel Biss, wie schon lange nicht mehr. Diese Aggressivität, gepaart mit der Rückbesinnung auf alte Glanztaten, macht die Stärke von „Thalassic“ aus. Und auch die brachiale, glasklare State-Of-The-Art-Produktion von Janne Joutsenniemi tut ihr Übriges. Artwork-Legende Gyula Havanchak hat mit seiner dritten Arbeit für ENSIFERUM dem Album das vielleicht schönste Cover der Bandgeschichte verpasst.

Abschließend läßt sich konstatieren: das Debüt ist und bleibt das beste ENSIFERUM Album aller Zeiten. Aber auch wenn „Thalassic“ die erste Scheibe nicht übertrumpfen kann, so begegnet der neue Longplayer der unantastbaren Göttergabe definitiv auf Augenhöhe und reiht sich auf einem exzellenten zweiten Platz in die ENSIFERUM-Diskografie ein. Und diese Leistung ist mir allemal fünf Punkte wert!

5,0/5,0 - Ernst Lustig


Inhaltsverzeichnis:

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Seite 8: Sonata
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