03.08. - 06.08.2016, Wacken Festival Area, Wacken

Wacken Open Air 2016 - Freitag - Mehr Shine als Sein

Veröffentlicht am 12.08.2016

Regen, Sturm, Sonne, Regen, Wind – während sich unter dem Zeltboden noch das Wasser sammelt, holt der Feuerplanet zum entscheidenden Gegenangriff die gelben Laserschwerter raus und säbelt ohne Rücksicht auf Verluste damit riesige Löcher in die fliehenden Wolken.

Das Wetter hat bisher alles rausgelassen, was ging. Dank der neuesten Entwicklung bekommt man nun für den gleichen Preis aber nicht nur modrig nasse Klamotten, sondern auch einen gesunden rötlichen Teint. Mit aufkommenden Katerbeschwerden versuche ich mich noch einige Minuten länger als möglich in meinem sich kurz vor dem Siedepunkt befindenden Zelt zu winden wie ein verendender Regenwurm. Ich muss Wasser finden.

 

 

Nachdem diese dramatischen Verhältnisse unter Kontrolle gebracht werden konnten, beschließe ich, den Tag erst einmal ruhig mit einer Fotorunde über den benachbarten Campingplatz am Ende des Universums (J) zu beginnen. Ich reihe mich voller Vertrauen in die hintereinander auf dem schmalen Grat zwischen meterhohen Treckerspuren dahinstapfenden Menschen ein und vermute, dass der Strom mich schon zum Ziel führen würde.

 

Stattdessen erblicke ich am Horizont eine große Herde Jungtiere. Sie stehen dichtgedrängt und brüllen in unregelmäßigen Abständen unverständliches Zeug. Das klingt interessant, da muss man mal gucken. Ich frage andere Beobachter, was dort passiere, und die Antwort lautet: „FEUERSCHWANZ drehen ein Video.“

 

 

Plötzlich kommt die ganze Horde in einem Affenzahn, den Blicken nach zu urteilen, weder Tod noch Kamera scheuend, genau auf mich zumarschiert. Um das zu fotografieren und auch ein bisschen, um zu überleben, trabe ich wie ein trotteliger Paparazzo rückwärts vor der Gruppe her. Die Menschen von FEUERSCHWANZ versuchen derweil die feiernde Horde mittels Megaphon unter Kontrolle und in die Kamera zu bringen.

 

 

Durch Zufall wird eine weise Frau auf mich aufmerksam, die mich in das jahrtausendealte Ritual eines unsichtbaren Besoffenen-Ordens einzuweihen versuchte: den Lachsklatscher! Eine schöne Geste zur Begrüßung, bei der man sich nach einer ghettoartigen Faust- und Grifffolge gegenseitig auf die Innenseite des Unterarmes klatscht wie sich ein Lachs auf dem Trockenen benehmen würde. Gut Lachs!

Auf dem weiteren Weg komme ich an der Wackinger-Bühne vorbei. Auf dieser befinden sich zu diesem Zeitpunkt die beiden Herren von PAMPATUT, die das unschuldige Publikum erst dazu zwingen, einen Wolfgang-Petry-Klassiker anzustimmen, um sie dann dafür zu beschämen: „Wir sind doch nicht auf Malle“! Was für garstige Spielleute, man sagt sie seien mit dem Teufel im Bunde. Das habt ihr jetzt nicht von mir, aber schaut euch nur die grellen Farben ihrer Kleidung an, es ist wohl eindeutig.

 

 

Unterdessen beim Langschläfer (Fast vier Stunden! Der wird doch nicht tot sein?) Jazz:

 

Ich hab ein knallrotes Gummiboot!“ Leider nicht, denn sonst wäre der Weg zum beeindruckenden Bühnenzelt wesentlich angenehmer. Was ich allerdings habe, ist ein altmodisches isländisches Wohnmobil – THE VINTAGE CARAVAN – und zwar im Ohr. Progressiver Hard-Rock-Spaß höchster Qualität, der mit einem sommerwarmen Applausregen überschüttet wird, während sich der Frontmann Óskar Logi Ágústsson über die feiernde Hippierockergemeinde reichen lässt.

Kurz darauf gibt es Geschrei: BURY TOMORROW kloppen sehr soliden Kern-Metalcore durch, der in den Cleanparts moderat abkackt, im Shouting aber volle Breitseite gibt. Meist kommt der britische Metalcore leider etwas lauwarm daher, tragen die Jungs doch den Genrestempel fast etwas zu zentral auf der Stirn: Cleanpart, Shouting, Breakdown, fertig. Der klischeeig-unkreative Aufruf zum Hass gegen Popmusik wirkt ein wenig wie ein Schuss ins eigene Knie – egal, wie oft er die Zuhörer noch „Motherfu§$er“ nennen möchte. Wer allerdings ohne Freude dieses Konzert verlässt, ist auch selbst Schuld, haben BURY TOMORROW doch auch absolut feierbares Abgehpotenzial.

 

Für mich wird es Zeit, meine Mutter aus dem Dorf abzuholen, um mich mit ihr im Nacken-Wettessen direkt vom Grill zu duellieren. Daher zurück zu Daria:

 

Auf der Headbanger-Stage stehen nun nacheinander DIE KRUPPS und EKTOMORF. Erstere beobachte ich zunächst aus sicherer Entfernung, finde dann aber doch Gefallen an einigen Songs. Die bereits seit den 1980ern existierenden EBM/Industrial-Metal-Legenden DIE KRUPPS haben sich seit ihrem letzten Album „Metal Machine Music“ in eine für meine Ohren interessantere, metal-lastigere Richtung entwickelt und deshalb freut es mich, mir das nun auch live ansehen zu dürfen. EKTOMORF sind für mich einfach nur genial und die Show ist atemberaubend.  Schon beim Intro platze ich fast vor Aufregung. Anfangs rege ich mich noch auf, dass sie „nur“ im Zelt spielen, aber das ist genau richtig, um eine hochenergetische und fett groovende Atmosphäre zu schaffen.

Nach dem ganzen Sport verstecke ich mich bis zum Abend bei gastfreundlichen Waldmenschen mit Kühlschrank (!!!), um für den späten Auftritt von MINISTRY und TESTAMENT gewappnet zu sein. Zwischendurch sehe ich mir noch ein wenig ALCEST und die Blackmetaller 1349 an.

 

 

Unterdessen im Land of Green-no-more, den Campgroundwegen, die Jazz gerade durchwatet:

 

Gestärkt durch eine massive Oralinjektion an Grillgut, Wodka-Melone und einem mysteriösen herben Gebräu, das die Einheimischen „Bihr“ oder so ähnlich nennen, schlurfe ich beinahe schnurstracks zum Bühnenbereich. Dabei passiere ich den amüsanten Piraten-Folk-Rock von KNASTERBART und die gemütlich norddeutschen TORFROCK, die mir „Beinhart wien Rocker“ ins eine Ohr spielen, während die helvetischen ELUVEITIE mit ihrem mittelalterlichen Black, ihrem melodiereichen Pagan, ihrem energiereichen Folk Metal meine andere Gehirnhälfte beanspruchen. Meine Multi-Tasking-Unfähigkeit fährt 210 km/h im Leerlauf, aber von oben lässt äußerst angenehm der nordische Sonnenwagen seine Wärme auf die schwarze Masse herabfließen.

BULLET FOR MY VALENTINE schlagen ein wie Asteroiden in Butter bei Zimmertemperatur – so richtig mit Fettspritzern und Brataromen! Weit mehr als einfach nur großartig spielen die Waliser durch ihren perfektionierten Metalcore. Bei dem erstklassigen Sound der Instrumente – insbesondere der orgasmischen Gitarre –, des Klargesangs und der Shouts wird ein Bühnenprogramm irrelevant und so konzentrieren BULLET FOR MY VALENTINE sich auf das Wesentliche: die Musik. Ich hoffe nur, ich bin nicht das einzige 14-jährige Mädchen, das bei „Tears Don't Fall“ beinahe in Ohnmacht fällt und bei „You Want a Battle? Here's a War“ vor Hyperventilation kaum mitgrölen kann. Wieder mal absolut erstklassig!

 

Schnell noch einen Abstecher zu INSIDIOUS DISEASE – wie schlimm kann so eine heimtückische Krankheit schon sein? Nicht ohne! Aus Abgründen, in die sich die Untiere der Tiefsee nicht wagen würden, direkt aus der schwarzen Schwärze der norwegischen Wälder einer schaurig-kalten Mittwinternacht (oder aus Oslo) kommt eine geballte Ladung fiesester Trveness: moderner, hammerhart durchgeknüppelter Oldschool-Death-Metal mit ganz, ganz bösem Gesichtsausdruck. Uuuuaaaarrrrg! Und ein Lumbersexual-Hipster-Mützchen, obwohl Marc „Goo“ Grewe wahrscheinlich tatsächlich Holzfäller ist: Großflächenrodung via Vocals! Dennoch wirkt es an diesem angenehmen Sommertag eher albern. Mehr unangebrachte Modetipps könnt ihr auf meinem Beauty-Kanal „TrveMetalCuteness“ abrufen - nicht wirklich! Der Kanal gehört einer ostpolnischen Truckerin.

Beim Durchqueren des Wackinger Villages streife ich auch die Wasteland-Stage, auf der SUB DUB MICROMACHINE gerade den Übergangsbereich zwischen Mittelalter und Postapokalypse befeiern. Während ich tanzenden Menschen in eher knapper, endzeitlicher Kleidung auf die nerdigen LARP-Gadgets gucke, weiß Daria sicher musikalischeres zu berichten:

 

 

Für MINISTRY schleppe ich mich wieder zum Infield und dafür werde ich mit einem sehr guten Konzert inklusive „Punch-in-the-face-Tanz“ belohnt. Ich kann es zum Ende hin aber kaum erwarten, bis TESTAMENT endlich anfangen. Seit 12 Jahren versuche ich immer wieder bei allen möglichen Festivals und anderen Gelegenheiten die Thrasher endlich live zu sehen, doch sie scheinen mir immer davonzulaufen. Sei es durch Verpflichtungen wie Arbeit oder höhere Gewalt wie Trunkenheit und plötzliches Schlafbedürfnis. Auf dem Metalcamp 2009 in Slowenien kam dann irgendwie all das zusammen, aber ich stand wenigstens vor der Bühne. Jetzt aber höre ich mir alles nüchtern an und schüttele zu Klassikern wie „More Than Meets the Eye“, „Disciples of the Watch“ oder „The Formation of Damnation“ das Haupthaar. Danach kann ich erst zufrieden mit einigen anderen Fanatikern das gemeinsame Erlebnis feiern und finde auf dem Zeltplatz noch ein Opfer, um bis 7 Uhr früh die typischen bedeutungsschweren Campingstuhlgespräche zu führen.

 

 

Auch Jazz erlebt einen guten, aber doch sehr anderen Tagesabschluss:

 

Meine Beine besitzen bereits Faultiernamen und mein Gehirn dreht die Welt in weit mehr als drei Raumdimensionen, doch einmal will ich heute noch die Bühnen erreichen – koste es, was es wolle! Wieder ist das Riesenzelt mein Ziel, in dem RED FANG gerade sehr wohlklingenden Stoner-Sludge-Krach machen, der reichlich gefeiert wird.

Doch ich bin für CALIBAN da, die die Stimmung von ganz vorne bis in die letzten Reihen explodieren lassen. Vom Anfang mit „Memorial“ (von null auf mehr als 100% – echt! Mehr als 100%! – in weniger als einer Sekunde) bis zum Ende mit „We Are The Many“ wird exzessivst gesprungen, geheadbangt und alles getan, was zu einem perfektem Weltklasse-Metalcore-Konzert wie diesem dazugehört. Tausende Stimmen schreien die gleichen, hervorragenden Texte – hoch emotional und doch mit überwältigender Härte. Dies ist mein persönlicher Wacken-Höhepunkt 2016 und einer der besten Momente meines Lebens als Konzertbesucher überhaupt. Selig läuft mir flüssig die Freude aus den Augen und ich – bereit für das Ende der Welt – zu meinem Schlafsack.

 

HIER find ihr die Galerie mit allen Fotos vom W:O:A 2016.


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