Interview: METALLICA - James Hetfield, Lars Ulrich

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In Wahrheit fühle ich mich immer noch als durchgeknallter Typ, der ewig auf der Suche ist. Wie ein Teenager, der nicht immer genau weiß, welcher Film gerade abläuft. - Lars Ulrich

Todesdramen, Süchte, Prozesslawinen … Metallica haben in ihren bisher mehr als 35 Jahren auf der Straße des Metal nichts ausgelassen, was Gott verboten hat. Doch das jugendliche Feuer, mit dem sie die Metal-Szene in den fernen 1980ern in Brand setzten, lodert noch immer...

Text: Nick Amies | Fotos: Shamil Tanna
Veröffentlicht am 15.02.2017

THE RED BULLETIN hat in einem Interview mit METALLICA über das neue Album "Hardwired... To Self-Destruct", Ambitionen, Tiefpunkte, Tourneen und Freizeit gesprochen. Das Originalinterview findet Ihr direkt auf www.redbulletin.com.

 


 

Ihr habt letzten November mit eurem sechsten Nummer-1-Album „Hardwired… to Self-Destruct“ gleich mal in 57 Ländern die Charts gestürmt. Gibt so etwas nach 35 Jahren immer noch denselben Kick wie zu Beginn?

JAMES HETFIELD: Und wie! Wirklich interessant und zugleich irgendwie bizarr ist: Je älter wir werden, umso wichtiger ist für uns ein Nummer-1-Album. Dass wir das nach 35 Jahren noch schaffen, ist großartig. Das ist der Sauerstoff, den wir atmen!

LARS ULRICH: Es ist ein geiles Gefühl, dass Metallica noch immer relevante Platten machen können; und dass harte Musik nach wie vor so viele Menschen begeistert, ist auch großartig. Echte Rock-Bands sind ja mittlerweile in der Minderheit. Einer der wenigen dieser Outlaws zu sein, und noch dazu erfolgreich, ist ein Privileg. Ja, ich würde sagen, es ist eine gute Zeit, Teil von Metallica zu sein.

„Hardwired…“ ist das erste Album, das auf eurem Label Blackened Recordings erschien. Was hat sich für euch dadurch geändert?

JAMES: Kaum was, zumal wir das Album ja nur in den USA auf unserem eigenen Label vertreiben, weltweit läuft ja alles weiterhin über Universal. Aber es gab schon einen Unterschied: Wir konnten uns Zeit nehmen, soviel wir wollten. Keine Deadlines und niemand, der anrief und sagte: „Hey, wenn ihr nicht bald liefert, reiß ich euch den Arsch auf.“

LARS: Es war immer schon so, dass wir Vertragsverhandlungen mit dem Ziel führten, über unsere eigenen Nummern frei verfügen zu können, egal was passiert. Das bedeutete auch: Jede Trennung war ein Schritt in Richtung Unabhängigkeit. Aber weil du nach dem aktuellen Album gefragt hast: Der Hauptunterschied lag nicht in der Aufnahme, sondern darin, was nach ihrem Ende passierte. Jetzt müssen wir 90 Prozent der Arbeit selbst machen, vor zehn oder zwanzig Jahren haben das andere Leute für uns getan. Das bedeutet auch eine Menge Verantwortung.

Wenn ihr zurückblickt auf die Nummern der 35 Jahre: Sind darunter Sachen, bei denen ihr euch heute denkt: „Was zum Teufel war denn das?“

JAMES: Es gibt Dinge, die ich auf ein paar Alben gerne ändern würde … aber nein, eigentlich doch lieber nicht. Denn wenn man das tut, nimmt man der Sache den Charakter. Ich finde es fürchterlich, wenn Bands ihre großen Klassiker neu aufnehmen und das Original damit quasi ersetzen. Das löscht doch einen Teil ihrer Geschichte! Platten sind Kinder ihrer Zeit; sie sind historische Momentaufnahmen. Natürlich, „… And Justice for All“ von 1988 merkt man das Fehlen der Bassfrequenzen an, und, ja, die Snare auf „St. Anger“ von 2003 klingt stellenweise schon arg blechern. Aber genau das macht diese Platten zu einem Teil unserer Geschichte!

 


James Hetfield, Foto: Shamil Tanna

 

Als ihr anfingt, war Vinyl König. Heute ist es Nische. Warum betreibt ihr eine Schallplatten-Fabrik in Deutschland?

JAMES: Wir wuchsen mit Vinyl auf, wir lieben Vinyl. Es ist eine Erfahrung, ein Event, greifbar: Man hält die Platte, nimmt sie aus der Hülle, legt die Nadel ganz vorsichtig in die Rille. Vor etwa sechs Monaten traf ich in L. A. alte Schulfreunde, und wir hörten nur Vinyl … in den Plattenkisten wühlen, am Karton riechen, die Liner Notes lesen und den warmen Sound hören – wenn das keine tolle Erfahrung ist, dann weiß ich nicht.

Zu Beginn wart ihr ein Haufen verrückter Teenager. Heute seid ihr Rock-Giganten mit globalen Business-Ambitionen. Wie bleibt man sich selbst in so einer kompletten Verwandlung treu?

LARS: Wenn ich in den Spiegel blicke, sehe ich keinen Geschäftsmann. Aber natürlich, wenn man einen Haufen Leute hat, die für einen arbeiten, gibt es einen Punkt, an dem man zumindest so tut, als wäre man erwachsen. In Wahrheit fühle ich mich immer noch als durchgeknallter Typ, der ewig auf der Suche ist. Wie ein Teenager, der nicht immer genau weiß, welcher Film gerade abläuft. Darum ist es besonders wichtig, ein gutes Team zu haben, ein eigenes Set-up und wirklich unabhängig zu sein … Dass uns das gelungen ist, ist echt cool, darauf sind wir richtig stolz.

Ihr seht nicht wie Geschäftsmänner aus, aber ist es nicht so, dass Lars genau in diesen Dingen von Anfang an ziemlich gut war?

JAMES: Lars hat ein Händchen fürs Business. Er lernte von Motörhead, er lernte von Diamond Head, und er lernte von anderen Bands, wie sie Dinge angingen, warum sie welche Entscheidungen trafen, warum der eine Manager top ist und der andere eben nicht … Lars ist unglaublich interessiert, wenn es ums Geschäft geht. Ich bin ganz anders. Musik spielen, Musik erschaffen war für mich die perfekte Vereinigung von Therapie und Karriere! Aber tief drinnen sind wir alle noch immer Rebellen. Planung, Ordnung, Professionalität, all das ist wichtig, klar. Aber Mut, Seele und das innere Feuer sind die wirklich unbezahlbaren Waffen.

Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass Metallica mit Krawatten in einem Loft sitzen und in Telefone plärren …

JAMES: Hahaha, Krawatten gibt’s nicht, und im Büro sind wir so gut wie nie. Wir bezahlen Leute dafür, dass sie rumsitzen und in Telefone plärren. Das ist ja auch nicht wichtig. Wichtig ist, wer die Zügel in der Hand hält, wer die Richtung vorgibt. Lars und ich sind die zwei, die diese Band zusammengestellt haben; wir haben vom ersten Tag an unsere Vision verfolgt. Wir geben die Richtung vor, Kirk (Hammett, Leadgitarrist; Anm.) und Rob (Trujillo, Bassist; Anm.) sind immer dabei und stets bereit, ganz egal wohin die Reise geht.

Ihr redet viel über Unabhängigkeit. Wie wichtig ist die für eine lange und erfolgreiche Karriere?

JAMES: Für uns absolut wichtig, ja, aber für andere? Keine Ahnung. Als wir begannen, war ein Label-Vertrag das Größte. Das ist heute nicht mehr so. Du kannst deine eigene Musik im Keller machen und sie selbst veröffentlichen. Das ist eine tolle Sache. Die aber eine neue Frage aufwirft: Wie weit kommst du damit? Wäre es nicht klüger, sich jemandem anzuschließen, der größer ist? Das sind Geschäftsentscheidungen, die musst du treffen. Willst du eine Welttournee oder lokale Konzerte spielen? Die Antwort ist ziemlich einfach: Mach, was dich glücklich macht.

LARS: Das Beste an unserem Erfolg ist, dass er uns ermöglicht, eigene kreative Wege zu gehen. In erster Linie bedeutet Unabhängigkeit für uns, dass wir nie von jemandem Geld nehmen mussten; wir haben nie jemandem etwas geschuldet.

JAMES: Und wir waren immer Kontrollfreaks. Wir wollten immer unbedingt selbst entscheiden, wie unsere Musik präsentiert wird. Das ist auch normal. Ob man Künstler oder Bildhauer ist, man wird immer eine Meinung darüber haben, wie seine Kunst aufgehängt, wo sie platziert wird – das ist Teil der künstlerischen Vision.

Wenn man Karriere machen will: Muss man sich da nicht auch anpassen?

JAMES: Als die Dämme brachen und man Musik gratis aus dem Internet laden konnte, hatten wir zunächst Schiss, weil wir nicht wussten, was wir davon halten sollen. Heute wissen wir, dass es ein großartiger, einfacher Weg ist, seine Musik zu bekommen. Sich anzupassen ist also die einzige Möglichkeit zu überleben. Ich glaube, das gilt für jeden von uns.

Während des Napster-Prozesses wurdet ihr als Internet-Feinde wahrgenommen und musstet ziemlich viel einstecken … Wie hart war das?

JAMES: Was Leute über uns, über mich denken, geht mich nichts an. Ich wusste, dass richtig war, was wir taten. Wir waren ein leichtes Ziel. Jemand, der etabliert ist, jemand, dem seine Kunst etwas bedeutet, der ist auch jemand, der bevorzugt öffentlich hingerichtet wird.

LARS: Das Bild, das gezeichnet wurde, war Metallica gegen die Fans, Metallica gegen Downloads, Metallica gegen den Rest der Welt. Aber das war natürlich Bullshit. Es ging nicht um Downloads; es ging darum, wer über seine eigene Musik entscheidet. Wenn ich meine Musik gratis verteilen möchte, wer trifft dann die Entscheidung? Ist es meine oder die eines anderen? Was für ein seltsamer Sommer damals … (Im Jahr 2000 gingen Metallica gegen den Filesharing-Dienst Napster vor Gericht; Anm.)

Dieser seltsame Sommer brachte auch eine „South Park“-Episode: du, Lars, weinend am Pool, weil du dir wegen illegaler Downloads keine vergoldete Haifischbecken-Bar leisten konntest.

LARS: Ich habe eine ziemlich dicke Haut.

 


Lars Ulrich, Foto: Shamil Tanna

 

Ihr habt also nie mit dem Gedanken gespielt, euch eine vergoldete Haifischbecken-Bar zu gönnen?

JAMES: Was will ich denn damit? Wir stecken unser Geld lieber in ein Stage-Set, eine gute Produktion oder einen Film. Was Dekadenz angeht, die gibt es bei uns nicht. Dafür gäbe es von den anderen eine auf den Deckel, Dekadenz hat mit Metallica nichts zu tun.

Es gab noch andere schwere Zeiten: 2004 zeigte die Doku „Some Kind of Monster“ die Band am Tiefpunkt mit vielen persönlichen Problemen. Warum sind Metallica damals nicht zerbrochen?

LARS: Als James nach einem Jahr Auszeit zurückkam und einen Mediator mitbrachte, wusste ich sechs Monate nicht, ob das alles überhaupt noch was wird. Ich wusste nicht, ob ich mit der Situation klarkomme. 2005 oder 2006 war dann alles wieder im Lot, aber eine Zeitlang war es echt elend. Wir hatten keinen Plan, keine Idee.

Eine Trennung wäre irgendwie logisch gewesen, nicht?

LARS: Ich bin kein großer Fan von „Was wäre, wenn …?“-Fragen. Das zählt nicht. Wir sind hier, führen dieses Interview. Sich eine Welt vorzustellen, in der sich Metallica vor zehn Jahren getrennt haben, ist Energieverschwendung.

Ihr habt erklärt, dass lange Tourneen nicht mehr euer Ding sind; stattdessen spielt ihr zwei Wochen und verbringt dann zwei Wochen mit euren Familien. Wird man im Alter auch pragmatischer?

JAMES: Wir befinden uns in einer extrem glücklichen Lage. Zwei Wochen spielen, dann zwei Wochen entspannen ist großartig – für die eigene Familie und auch für den eigenen Verstand, das mentale und spirituelle Wohlbefinden. Wir können nicht touren wie damals mit zwanzig.

Was tut ihr mit all der Freizeit? Vielleicht eine Runde mit dem Skateboard drehen, James?

JAMES: Es ist schon eine Weile her, dass ich das letzte Mal auf einem Brett stand. Wir spielten beim „House of Vans“ in London Ende vergangenen Jahres, und einige aus der Crew machten mit, aber für mich ist die Zeit vorbei. Ich hab jetzt andere Dinge. Ich brauche Zeit, um von allem wegzukommen. Da ist noch immer ein einsamer Wolf in mir, der Abgeschiedenheit liebt, der es genießt, Dinge allein zu tun, Musik, Jagen, Wandern, Camping, was auch immer. Oder in der Garage an etwas basteln, sich voll in einem Projekt verlieren … ich liebe das, ich brauche das.

 

Text: Nick Amies / Fotos: Shamil Tanna for TheRedBulletin.com
Wir bedanken uns bei The Red Bulletin und Hotwire PR für die freundliche Genehmigung dieses Interview verwenden zu dürfen.

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