Interview: AGENT FRESCO - Arnór Dan Arnarson & Þórarinn „Toti“ Guðnason

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Selbst die furchtbarste Musik enthält irgendwo schöne Elemente - und genau diese suchen wir.

Vor dem grandiosen Underground-Gig im Wiener B72 holten wir uns Arnór und Toti von den isländischen Prog/Pop-Durchstartern AGENT FRESCO vor das Diktiergerät, um über "Emotional Power-House", dissonante Harmonien und die Kraft der Sprache zu... ähm... sprechen.

Veröffentlicht am 21.12.2015

Dass in Island praktisch im Minutentakt großartige Bands und Künstler herauswachsen, wissen wir alle spätestens seit BJÖRK. Mittlerweile floriert dort aber nicht nur die Folk- und Avantgarde-Pop-Szene, sondern auch der Metal in all seinen Spielarten - vor allem Black- und Prog-Metal ist in Reykjavik und Umgebung enorm angesagt. Zu den derzeit global besten Bands der "Prog/Pop-Bewegung" zählen in jedem Fall AGENT FRESCO, die dieses Jahr mit ihrem zweiten Album "Destrier" endlich den hochverdienten Schritt aus dem nationalen Bekanntheitsgrad geschafft haben, und mit einer fulminanten, 30 Dates umfassenden Europa-Tour für Furore sorgten. Ich habe zumindest noch keinen getroffen, der sich ob der fragilen, extrem verletzlichen klingenden Stimme von Sänger Arnór anfangs auf Distanz ging, aber dem intensiven Organ mach Livegenuss voll und ganz verfiel. Dazu baut Songschreiber und Gitarrist "Toti" einfühlsam-dissonante Soundfragmente herum, die sich niemals in mathematische Frickeleien entladen, sondern stets das Wesentliche im Blickfeld haben - Melodie, Harmonie, Nachvollziehbarkeit. Kein Wunder, dass unser gemütliches Sechs-Augen-Gespräch im Speisesaal des eher semicharmanten Wiener Hotel Donauwalzer eher nerdig ausfiel. Große Sprücheklüpfer sind Isländer nunmal sowieso nicht und die beiden Frontmänner von AGENT FRESCO machen sich glücklicherweise lieber viele Gedanken, als schnöde auf langweilige Plattitüden zu setzen. Eines sei aber von meiner Warte aus schon jetzt garantiert - aus diesen Jungs wird noch was Großes!

Arnór, Toti – in Island seid ihr schon seit einigen Jahren eine ziemlich große Nummer, mittlerweile scheinen auch die Menschen in Resteuropa euch und eure Musik erfassen zu können. Wie ist bei euch der Stand der Dinge?

Arnór Dan Arnarson: Der größte Unterschied ist jetzt, dass wir außerhalb Islands eine Plattenfirma, eine Booking-Agentur und ein Management haben – ansonsten wäre diese große Europa-Tour natürlich niemals möglich gewesen.
Þórarinn „Toti“ Guðnason: Wir fühlen uns definitiv gut aufgehoben hier auf dem europäischen Festland und wissen auch, was wir können.
Arnór: Das klingt jetzt vielleicht etwas hochnäsig, aber vielleicht sind die Leute auch erst jetzt bereit für unsere Songs. (lacht) Ich weiß es selbst nicht, derzeit passt aber alles um uns herum. Es war schon immer unser vorrangiges Ziel, live zu spielen und den Leuten unsere Ideen von Angesicht zu Angesicht nahezubringen.

War es für euch schwierig, so viel Geduld aufbringen zu müssen? In eurer Heimat wurdet ihr immerhin schon mit Preisen und Awards überhäuft, während hier lange kein Hahn nach euch krähte.

Arnór: Wäre es uns so wichtig gewesen, schnell und am besten sofort groß zu werden, müssten wir wohl eine andere Art von Musik schreiben. (lacht) Es ist derzeit aber aufregend und ein schöner Bonus für unsere Arbeit, wenn wir sehen, wie die Leute sich in unsere Songs hineinversetzen können. Unlängst in Prag spielten wir vielleicht vor einer halbvollen Location, aber die Anwesenden waren so tief in den Songs, dass ich mich nach den ersten paar Nummern einfach bedanken musste. Das gibt uns so viel Energie und Motivation – das ist viel mehr als bloßes Entertainment, sondern eine richtiggehende Verbindung, die unbezahlbar ist.

Wenn man sich die Konzertreviews von euch so durchliest, dann stößt man fast unerlässlich auf hymnische, stets positive Bewertungen. Wie kommt ihr damit zurecht?

Toti: Die derzeitige Tour ist terminlich wirklich Hardcore. Sie geht über Wochen hinweg, fast täglich mit Auftritten und das bis ganz knapp vor Weihnachten. Aber die Konzerte sind nicht hart, es ist das Reisen, die dichten Zeitpläne, die Ein- und Ausladerei – eben das ganze Drumherum. Man muss sich aber auch immer vor Augen halten, dass diese Schlepperei und Laderei nichts Selbstverständliches ist. Am Ende des Tages ist es doch toll, wenn du einen Bassverstärker mit dem Gewicht eines Kühlschranks durch die Gegend schleppst. (lacht)
Arnór: Während einer Show sind wir total fokussiert und wenn du dann auch noch so ein Publikum hast, wie unlängst in Prag, ist jeder Anflug von Müdigkeit wie weggeblasen. Ich habe nur Angst, meine Stimme zu verlieren, ansonsten kann mich auf Tour wirklich nichts aus dem Konzept bringen.

Ihr verweigert euch interessanterweise schon seit jeher, euren Bandnamen AGENT FRESCO zu erklären…

Arnór: Es ist ein Alter Ego, ein Alias-Name. Er spiegelt einfach uns vier Bandmitglieder wieder und wir haben den Namen schon lange vor unserer Musik gehabt. Es ist eher eine zufällige Sache und als wir Musik machten, war es zu spät, ihn noch zu ändern. (lacht) Wir mussten es dann durchziehen.

Ihr könnt mir aber nicht erzählen, dass es da keinen Background dazu gibt...

Arnór: Es gibt viele Geschichten und Konzepte, das haben wir auch schon oft erklärt. Wir wollen aber lieber die Musik sprechen lassen.
Toti: Es gibt doch wirklich viele schlechte Bandnamen, mit denen die Leute aber irgendwann auch warm werden. Denk nur an die RED HOT CHILI PEPPERS oder LIMP BIZKIT. (lacht) Sogar die sind durchgegangen und bekannt geworden. Die Musik schützt im Endeffekt den Namen.

Am Wichtigsten ist ja ohnehin, dass ihr wirklich ziemlich einzigartig klingt, was auch an eurer Heimat liegen muss, denn es gibt überdurchschnittliche viele isländische Bands, die sich gut von allem bereits Dagewesenen emanzipieren können.

Arnór: Darauf gibt es viele Antworten, aber keine festgelegte, bestimmte. Du kannst ohnehin nur mehr von Mainstream-Musik leben und alle, die das nicht machen wollen, setzen alles auf eine Karte, werfen ihre ganze Leidenschaft in ihr Projekt und klingen vielleicht deshalb so einzigartig.
Toti: In Island gibt es auch nicht viel Geld für Musik und Musiker. Selbst wenn du poppiges Zeug schreibst, kannst du kaum davon leben. Weihnachtssongs und alles rund um den Song Contest funktioniert, ansonsten ist es ein zäher Kampf.

Die Jungs von THE VINTAGE CARAVAN haben uns unlängst erzählt, es könnte auch daran liegen, dass ihr in Island so schlechtes Wetter und extrem viel Dunkelheit habt, deshalb automatisch zuhause viel an Musik schraubt und daher so einzigartig seid.

Toti: Das ist sicher nicht falsch. Wenn die Sonnenwende kommt, dann wird es dunkel und so bleibt es auch lange. Die Natur gepaart mit der Finsternis sind sicher elementar für all das.

Es ist verdammt schwierig, eure Musik zu kategorisieren. Das ist eigentlich etwas, was fast jede Band anstrebt – nicht so einfach in eine Schublade gesteckt werden zu können.

Arnór: Es ist gut und furchtbar zugleich. Einerseits ist das leider der Grund, warum wir so lange brauchten, um uns einen Namen zu machen. Die Promoter wussten 2011 überhaupt nicht, wo sie uns reinpacken sollten. Funk, Jazz, totale Bullshit-Genres – alle Töpfe wurden mit uns befüllt, aber das klang für uns alles furchtbar, weil es unsere musikalische Vision nicht wiederspiegelte. Wie würdest du uns bezeichnen?

Art-Prog-Pop-Jazz mit Klassik-Elementen. Würde ich meine CDs nach Genres ordnen, bräuchte ich vor euch wohl ein eigenes Regal.

Arnór: Oder du wirfst die Scheibe gleich auf den Boden. (lacht) Ordne sie einfach unter „other“ oder „etc.“ ein – oder „World Music“. Jemand hat unsere Musik mal als „Emotional Power-House“ bezeichnet. Was heißt das bitte?

Das klingt für mich nach irgendeinem brutalen Eurodance-Techno.

Arnór: Sehe ich ähnlich. (lacht) Ich kann die Musik ja selbst kaum beschreiben. Unsere Musik soll in gewisser Weise emotional, persönlich und herausfordernd sein, aber wir lassen uns von der Schönheit in allen Formen der Kunst beeinflussen. Toti hat das mit dem Satz „wir suchen einfach immer die Schönheit“ denke ich gut beschrieben. Das ist auch ein schöner Satz um zu beschreiben, worauf es uns ankommt. Toti ist derjenige, der alle Songs komponiert, sich mit den Instrumenten auskennt und alles arrangiert und zusammenfügt. Ich schreibe dann die Texte und setze die Gesangsmelodien ein. Einerseits fügt sich das oft sehr gut zusammen, andererseits hört man schon heraus, dass wir aus zwei verschiedenen Ecken der Welt kommen und dadurch gemeinsam etwas Einzigartiges erschaffen.
Toti: Ich versuche Schönheit, Simplizität, Komplexität, Dissonanz und Harmonie einfach so zu vereinen, dass es am Ende neu und spannend klingt. Auch in furchtbarer Musik kannst du schöne Elemente finden und danach suche ich immer. Ich denke, das beschreibt uns ganz gut. Die Balance muss einfach stimmen.

Komplexität ist ein gutes Stichwort – eure Kompositionen sind nicht einfach zu konsumieren, rutschen aber trotzdem scheinbar mühelos durch die Gehörgänge. Wie gelingt euch das? Andere Prog-Bands verschachteln sich selbst allzu oft in ihrer eigenen Frickelei.

Toti: Alleine durch deine Frage realisiere ich wieder, warum ich das Wort „Progressive“ und auch den Terminus „Prog Rock“ nicht mag. Die meisten sind nur komplex um der Komplexität willen. Wir machen es, um die Schönheit zu zeigen. Bei uns gibt es keine argen Frickeleien und keine Gitarrensoli, wir wollen nicht angeben, sondern schön klingen.

Wann fühlst du die Schönheit in einem Song? Eine Thrash-Band etwa wird sie fühlen, wenn ihr ein geniales, bretterndes Riff gelungen ist. Wie ist das bei AGENT FRESCO?

Toti: Ich beginne zuerst mit konzeptionellen Ideen und jamme nicht auf der Gitarre. Zuerst kommt der theoretische Überbau, dann erst die Musik an sich. Das ist wohl auch der größte Unterschied zu den meisten anderen Gitarristen. Ich denke zudem wie ein Drummer und finde auch, dass bei uns das Drumming das komplexeste Element ist. Ich versuche einfach, all diese Instrumente in Balance zu bringen. Es geht um die rhythmische Komplexität – die suche ich, ohne angeben zu wollen.

Auf der anderen Seite lebt ihr von Arnórs fragiler, verletzlicher und dennoch eindringlicher Singstimme, die für den Pop-Faktor in der Band sorgt.

Arnór: Es ist auch ein Glück, dass ich mich sehr schnell in Totis Songs und Sounds verliebe. Ich bekomme zuerst immer das Rohgerüst und lege dann Text, Harmonie und Melodie der Stimme darüber. Ich höre in jedem unserer Songs schöne Harmonien und versuche das in meiner Gesangsmelodie einzufangen. Ich kann mich gut in Toti hineinversetzen, summe die noch unfertigen Melodien schon vor mich her, ohne den Mund zu öffnen und habe daher früh eine tiefe Verbindung zum musikalischen Gebilde. Ich interpretiere eigentlich nur Totis Kunst und durch unsere konzeptionellen Ideen bei Musik und Text, entstehen wohl auch die vielen Schichten, die unsere Musik ausmachen. Ich glaube, ich über-erkläre das Ganze gerade. (lacht) Es ist auch für mich einfach verrückt, was aus dieser Band wurde. Wir vier sind komplett grundverschiedene Personen, kannten uns vor der Band nicht und fanden eine gemeinsame, kreative Energie. Toti und ich lernten uns in seiner Garage kennen und formten dann eine Band. Rein von unserer Geschichte her könnten wir locker eine überkomplexe, ständig Skalen masturbierende Band sein, aber darum geht es uns nicht. Ich will schon gefordert werden, aber es soll alles natürlich und instinktiv entstehen. Ich bin so glücklich darüber, dass uns das bislang so gut gelang, das ist wohl auch der Grund für unsere Lockerheit in den Songs.

Und alles soll natürlich auch herausfordernd sein, nehme ich an. Um keine Langeweile aufkommen zu lassen.

Arnór: Natürlich, ansonsten würden wir das Ganze gar nicht machen und nicht so viel Zeit investieren. Langeweile ist der Tod jeglicher Kreativität.

AGENT FRESCO ist die derzeit wohl spannendste Pop-Prog-Band Europas - (c) Birta Rán

Sortiert ihr beim Songwritingprozess auch Ideen raus, die vielleicht zu einfach, zu bieder klingen?

Toti: Nein. Ich liebe Harmonien und Eingängigkeit, eigentlich suche ich sogar danach, auch wenn das jetzt etwas sonderbar klingt. Manchmal fordere ich mich bei meinen Songs auch selbst zu sehr heraus. Das merke ich dann, wenn wir live spielen und mir gewisse Teile Probleme bereiten – nur dass ich das dann 30 Abende hintereinander überleben muss. (lacht) Aber gut, da muss man durch, man hat das ja auch selbst fabriziert.

Die Texte sind auch ungemein persönlich. Auf eurem vorletzten Album „A Long Time Listening“ hast du den tragischen Verlust deines Vaters besungen, der dem Krebs erlag. Magst du es, so viel Persönliches auf CD und auf der Bühne nach außen zu tragen?

Arnór: Auf jeden Fall, es macht mir viel Spaß darüber zu reden und die Leute bedanken sich auf Tour auch dafür bei mir. Ich verwende eine Menge Metaphern in meinen Texten und es gibt unzählige Referenzen zur Poesie, Mythologie, der Religion und sogar alten Kriegsgedichten. Es gibt viele Botschaften und ich übe auch oft Kritik, aber das Schlüsselwort ist „Verknüpfung“. Ich will mich mit den Leuten verknüpfen, die Leute sich mit uns und unserer Musik. All das soll gut zusammenspielen, das geht dann weit über die Entertainment-Schiene hinaus. Ich lebte sehr lange in Dänemark und war oft alleine auf Shows und wollte diese Bands, die ich entdeckte, mit niemandem teilen. Das war wohl etwas eigenartig und ich würde es nicht weiterempfehlen – teilt die Musik lieber, das hilft auch den Bands. (lacht)

Aber wir alle wissen ja nur zu gut – eine Band zu entdecken und dann für sich alleine zu haben, ist eben verdammt cool.

Arnór: Genau so ist es. (lacht) Eigentlich ist das verdammt idiotisch, aber gut, so bin ich – auch ein bisschen ein Eigenbrödler. „A Long Time Listening“ war der perfekte Weg, um mich mit dem Tod meines Vaters auseinanderzusetzen und all diese Erfahrungen über den Verlust eines dir Nahestehenden und die Traurigkeit, die dich umgibt, zu reflektieren. Ich habe mich damals in Island selbst isoliert und auf dem neuen Album „Destrier“ liegt der Fokus stärker auf Themen wie Angst oder Wut. Ich bin auch gereift und habe neue Art von Emotionen entdeckt. Die resultieren nicht nur aus den gewalttätigen Erfahrungen, die ich selber gemacht habe, sondern auch daraus, dass die Welt wirklich ein hässlicher Platz ist, mit sehr viel Apathie. Was wir Menschen in unserem Leben als wichtig erachten und priorisieren, das ist so dämlich, das kann man gar nicht in Worte fassen. Ich könnte da stundenlang darüber reden, schließlich wurde ich maßgeblich davon beeinflusst. So klischeehaft das auch klingt, aber ein Album ist für mich eine Therapie, die mich herausfordert und meine banalen und naiven Gefühle in etwas Kunstvolles kanalisiert.

„Destrier“ ist also viel wütender, angriffiger als die Vorgänger geworden?

Arnór: Ja, dazu noch viel dunkler. Ich wurde vor einiger Zeit in Reykjavik von hinten angegriffen, zusammengeschlagen und sie haben mir ins Gesicht getreten – der Heilungsprozess hat schon eine Zeit lang gedauert und ich verspürte natürlich wahnsinnig viel Wut. Viele Gefühle wurden da in mir freigesetzt: Enttäuschung, Wehrlosigkeit, Wut, Apathie. Ich wollte auch die Beziehung zwischen Liebe und Hass herausfinden und die Angst erkunden – schließlich ist sie die Wurzel von allem, was dich aggressiv macht. „Destrier“ sind einfach verschiedene Szenarien der Emotionen, die mich bewegten.

Der rote Faden besteht im Prinzip aber immer noch aus deinen persönlichen Erfahrungen, die du in Metaphern packst?

Arnór: Definitiv, „Destrier“ bedeutet auf Deutsch ja "Schlachtross", aber eigentlich ist das eine Umschreibung für mich selbst und meine Gefühlslage, die ich in letzter Zeit erlebte. Ich hoffe immer darauf, einen Schlussstrich unter meine Probleme ziehen zu können und hinter jedem einzelnen Song steckt eine Geschichte, die aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet wird. Ich will damit aber nicht sagen, dass das Album depressiv ist, denn es gibt immer Hoffnung und ich versuche immer, alles in positive Bahnen zu lenken. Wir müssen in unserer Gesellschaft einfach danach suchen, wie wir besser miteinander umgehen können. Das war mein Ziel auf dem neuen Album, unterstützt von Totis Instrumentierung. Für mich war der Prozess sehr schwierig zu handlen, deshalb hat das auch alles so lange gedauert.

Wenn mir dir hier so zuhört, kann man sich eigentlich kaum vorstellen, dass du dich auf der Bühne wohlfühlst und diese positive Energie an die Zuseher weitergeben möchtest.

Arnór: (lacht) Nein, das passt schon alles, aber klar, das klang jetzt ziemlich bedrückend. Live zehre ich auch von der Energie der Fans und da geht es mir sowieso gut.

Seid ihr als Band immer noch in Island stationiert? Gerade logistisch stelle ich mir das ziemlich schwierig vor, wenn ihr viel in Europa unterwegs sein wollt in naher Zukunft.

Arnór: Natürlich könnte es besser laufen, vor allem die Flüge sind verdammt teuer. Wenn wir mal auf Tour gehen, dann eben anständig, so wie jetzt. 30 Shows fast ohne Pause, damit sich das auszahlt. Viele Bands sind nach Berlin oder woanders hingezogen, um das Leben als Band zu vereinfachen. Wir haben schon mal einen Umzug überlegt, das aber nicht konkretisiert. Wir haben ein paar Festivals gebucht, sind aber auch oft live in Island gebucht, insofern stellte sich die Frage nach einem Umzug noch nicht so wirklich. Aber diese Überlegung wird sicher noch vertieft.

In Island schaffen es sogar komplexere, progressivere Künstler relativ hoch in die Charts, was im österreichischen Mainstream-Segment niemals möglich wäre. Welche Bedeutung hat die Musik in Island und warum funktionieren bei euch auch „atypische Hitparadenbands“?

Arnór: Ich habe keinen blassen Dunst. (lacht) Ich habe da jetzt nichts Zitierfähiges für dich, weil ich das selber nicht durchblicke. Ich würde mir wünschen, dass die Leute offener werden und der komplexeren Musik verstärkt ein Ohr leiden würden. Es funktioniert ja deshalb nicht, weil die Radios die Menschen zu einfachen Songs erzogen haben, aber das würde jetzt eine ewige Diskussion nach sich ziehen. Das ist ein endloses Thema und was in den letzten 15-20 Jahren im Musikgeschäft passiert ist, kann man gar nicht mehr niederschreiben.

Die Isländer glänzen mit beneidenswerter Lockerheit und fokussiert überlegten Antworten - (c) Marino Thorlacius

Wie wichtig sind die Sagen, Legenden, das Erbe und die Geschichte eurer Heimat für eure Musik?

Arnór: Geschichte ist etwas Schönes. Jeder sollte wissen, woher er kommt und wie er zu dem wurde, was er eben ist, aber wir sind extrem weit von Patriotismus entfernt. Wir machen nichts, weil wir stolz auf das Land sind. Ich hasse das Wort Patriotismus, weil es alles im Leben so extrem einengt. Man muss aber ehrlich mit sich und der Geschichte sein – nicht nur politisch, sondern auch historisch. Es kommt auch immer darauf an, welches Jahrhundert man meint – es gab so viel Kunst, Musik und Kultur in der isländischen Geschichte, die mich sehr stark inspiriert. Ich kann mir nicht vorstellen, dass einem so etwas nicht wichtig wäre.
Toti: Wir bauen ja selber auf das auf, was vor uns bereits gemacht wurde – das macht ohnehin jeder in gewisser Weise. Es sind viele kleine Schritte, da geht viel Zeit drauf, manchmal gelingt einem aber auch ein schneller und weiter Sprung. Ich mag zum Beispiel nicht, in welche Richtung die klassische Musik heute tendiert – auch wenn natürlich viele Musiker viel richtig machen. Ich finde, in dem Bereich versuchen die Komponisten seit Jahren schon zwanghaft originell zu sein, sind aber gerade deswegen ziemlich willkürlich im Songwriting und dann kommt natürlich auch nur mehr Willkürliches ans Tageslicht. Dort finde ich einfach keine Schönheit mehr.
Arnór: Mich erschreckt klassische Musik mittlerweile. Diese Jagd nach Perfektion pisst mich extrem an. Ich kenne viele Leute, die emotional zusammenbrechen. Ein Freund von mir, auch ein klassischer Künstler, hatte einen Zusammenbruch und kann nicht einmal mehr das Haus verlassen, weil es in diesem Genre so hohe Standards gibt, dass er schlichtweg daran zerbricht. In der Klassik geht die Menschlichkeit verlustig.
Toti: Disziplin steht längst über Kreativität, das ist eine Richtung, die die Musik umbringt, aber jetzt kommen wir schon ein bisschen zu weit vom Thema ab. (lacht)

Kein Problem – mich würde die Sprache an sich interessieren. Ihr singt auf Englisch, für viele die perfekte Singsprache, während Deutsch oft als zu hölzern/brutal und Französisch als zu sanft gilt. Wie ist das mit Isländisch?

Arnór: Ich stecke da sowieso in einer beschissenen Situation, denn ich wurde zwar in Island geboren, wuchs aber in Dänemark auf und spreche wesentlich besser Dänisch, weil das meine ganze Schulzeit prägte. Isländisch ist eine wunderschöne Sprache, aber ich fühle mich dort nicht daheim, ich kann meine Texte nicht darauf aufbauen. Als ich jünger war las ich englische Poesie, hörte englische Musik und sah auf Englisch fern – für mich war diese Wahl einfach natürlich und ich glaube auch nicht, dass ein dänischer gesungener Song cool wäre für AGENT FRESCO. (lacht) Für mich ist Englisch einfach natürlich, ich habe das immer so gemacht und mittlerweile macht es mir auch richtig Spaß. Ich kann da noch viel mehr erkunden – wenn es mir dort einmal fad wird, dann werde ich Isländisch stärker erforschen. Hier ist die Grammatik gar nicht so einfach, da hätte ich genug zu tun. (lacht)

Wie sieht das in der Aussprache und der Grammatik aus? Englisch wird ja auch als perfekt mit Melodien und Harmonien gleichgesetzt, würde das auf Isländisch umgelegt auch so funktionieren?

Arnór: Interessantes Thema. Es gab eine Frau in Island, die hat eine Master- oder Bachelorarbeit darüber geschrieben, wie sie mit englischer Sprache umgehe. Das ist auf jeden Fall eine interessante Perspektive. Ich hielt das anfangs sogar für einen Scherz. Ich behandle meine Texte auch wie Gedichte. Es macht Sinn, sich darüber Gedanken zu machen, wie eine Sprache sich auch in den Gedankenbildern eines Fremdsprachigen verändern und entwickeln kann. Man denkt ja auch ganz anders, betont Wörter anders. Ich bin da aber ziemlich aufgeschmissen, denn ich spreche Englisch, Dänisch, Isländisch und verstehe auch ein bisschen Deutsch. Die internationalen Filme werden bei uns in Island nicht synchronisiert, was bei euch im deutschsprachigen Raum ja schon der Fall ist. Dementsprechend sonderbar klingen dann Sendungen oder Eigenproduktionen, die auf Isländisch stattfinden. Einfach, weil man Englisch hier so gewohnt ist.

Wie sieht das bei euch persönlich aus? Taucht ihr tiefer in Songs und Themenbereiche ein, wenn ihr sie auf Isländisch hört?

Toti: Wird das nicht automatisch einzigartiger in dieser Sprache? Ich liebe Künstler, die in meiner Heimatsprache singen, aber im Populärmusikbereich sind sie eigentlich ziemlich selten. Es gibt da einfach so viele Punkte, die man interessanterweise erforschen könnte. Die Aussprache, den Humor, die Satzstellung – ich kann es einfach unmöglich beantworten, ob mich jetzt etwas auf Isländisch mehr packt oder nicht. Wenn ich nachdenke, denke ich manchmal auf Isländisch und dann auf Englisch, das vermischt sich. Das ist oft wie bei den Songs, die mehrmals entstehen. Viele Bands packen einen Song erst einmal auf eine EP, erweitern ihn dann, staffieren ihn aus und werfen ihn dann im neuen Gewand auf das Studioalbum. Viele Fans mögen dann aber trotzdem die Erstversion besser. Das liegt einfach daran, dass der Fan schon früher die Verbindung zu ebendiesem Song gefunden hat und die neue Version für seine emotionale Verbundenheit mit der Band nicht mehr benötigt.

Dann haben wir ja ohnehin schon ein Konzept für euer nächstes Album – der Transport von Emotionen in verschiedenen Sprachen und Klangfarben.

Arnór: Warum nicht? Uns ist nichts bizarr genug. Ich will mich aber mit keinem Thema vorbereiten, denn bislang ist alles einfach passiert, nachdem mir Toti Musik geschickt hat und das wird auch so weitergehen. Er hat mich in dem Bereich noch nie hängen gelassen und ich bin verdammt aufgeregt, was als nächstes kommen wird.


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